Die „Vielfalt“ der Homöopathie oder: Jenseits von Hahnemann
Liebe Leserinnen, liebe Leser,
wir wollen uns heute fragen, was es eigentlich bedeutet, wenn eine Methode sich in vielen unterschiedlichen Varianten, um nicht zu sagen Abarten, verliert – wie das bei der Homöopathie ausgeprägt der Fall ist. Gemeinsam ist das bei den „Varianten“ der Homöopathie fast nur noch die Berufung auf Hahnemann, die Unantastbarkeit des Organon (was letztlich auch nur ein Lippenbekenntnis ist), irgendeine Ausprägung des Ähnlichkeitsprinzips und der Grundsatz der Wirkungszunahme durch Verdünnung. Als Grundlage für eine Methode, die wissenschaftliche Anerkennung einfordert, etwas dünn… Positiv formuliert, spricht man in einem solchen Falle gern von „Vielfalt“. Jedoch…
DIE Homöopathie gibt es nicht.
Gelegentlich wird gar geäußert, es gebe so viele Spielarten der Homöopathie, wie es Homöopathen gibt. So ganz falsch ist das nicht. Wenn man auch noch die Laienmeinungen zur Homöopathie (Naturheilkunde, Kräutermedizin …) einbezieht, wird es sicher schon einigermaßen uferlos.
Dabei geht es nicht um Abweichungen von Hahnemanns Lehre in Kleinigkeiten. Die meisten der „Methoden“, die die Hahnemann-Jünger angewendet haben und heute anwenden, zeichnen sich gerade dadurch aus, dass sie Grundlagen der Hahnemannschen Lehre verletzen und trotzdem nicht davor zurückschrecken, sich „Homöopathie“ zu nennen. Es gibt beispielsweise
- Niederpotenzler (es gibt sogar eine Gesellschaft für C4-Homöopathie, die nur Verreiben und keine Lösungsmittel verwenden), die die Hahnemannsche Kernlehre von der besonderen Wirksamkeit der Hochpotenzen nicht zur Kenntnis nehmen und von denen sich die „Hochpotenzler“ in aller Regel scharf abgrenzen.
- Anthroposophische Homöopathen, die wohl die Grundsätze der „Potenzierung“, also der Wirkungssteigerung durch Verdünnung aufnehmen, aber schon beim „Verschütteln“ hört es auf – der rituelle Teil der „Potenzierung“ wird oft auf andere Weise ausgeführt. Für die anderen Grundlagen von Hahnemanns Lehre interessieren man sich auch nicht groß und setzt die eigenen -okkulten- Vorstellungen an deren Stelle.
- Komplexmittelverwender, die entgegen dem klaren Verdikt von Hahnemann, zur homöopathischen Arzneimitteltherapie stets nur einen einzigen Stoff zu verwenden, „Wirk“stoffe wild kombinieren und neuerdings von „wissenschaftlichen Kombinationen“ sprechen, deren Inhaltsstoffe sich „gegenseitig weiterpotenzieren“,
- „Grundlagenforscher“, die – vergeblich – alles daran setzen, die Wirksamkeit von Hochpotenzen mit den abstrusesten Methoden per „Grundlagenforschung“ beweisen zu wollen und vergessen, dass sie damit Hahnemanns Grundidee der „geistigen Lebenskraft“ (die „atomistische“ Argumente strikt ablehnte) und damit seine ganze Arzneimittellehre ad absurdum führen.
- Homotoxikologen (nach Reckeweg), die von einer andauernden „Vergiftung“ des Körpers reden und Krankheit als „Entgiftungsversuche“ sehen, was sich mit Hahnemanns Annahmen der „Verstimmung geistiger Lebenskraft“ nun so gar nicht zusammenbringen lässt,
- Konstitutionshomöopathen, die sich nicht der Mühe der für die Homöopathie grundlegenden individuellen Mittelfindung unterziehen (wollen) und deshalb ein Repertoire von „Mitteln“ vorhalten, die sie mit bestimmten Konstitutionstypen beim Menschen (die es gar nicht gibt) in Verbindung bringen,
- Homöopathen, die sich nicht an „Symptombilder“ als Grundlage von Diagnostik und Mittelfindung halten, sondern entgegen Hahnemann mit „Krankheitsbegriffen“ operieren oder ganz neue „Krankheitsursachen“ postulieren,
- Polypragmatiker, denen sozusagen alles weitgehend egal ist, Hauptsache Homöopathie; dazu gehören auch diejenigen, die Mittel verwenden, die niemals einer „Arzneimittelprüfung am Gesunden“ unterzogen wurden. sondern der Fantasie von „homöopathischen Forschern“ entspringen, ebenso die nicht wenigen, die – entgegen Hahnemanns entschiedenem Postulat – aus durchsichtigen Motiven einem „Nebeneinander“ von wissenschaftlicher Medizin und Homöopathie das Wort reden,
- „Mystiker“, die bei der Mittelfindung und der „Diagnose“ allein auf ihre persönliche Intuition vertrauen, wahlweise auf den Einsatz von Pendeln, Farbmystik oder gar die Auswahl der Eingebung Dritter vertrauen (homöopathische Mittelwahl per Familienaufstellung).
Auch die Selbstmedikation und die Herstellung der Mittel hierfür gehören eigentlich in diese Aufzählung. Hätten Sie z.B. gewusst, dass es sogar einen Unterschied zwischen „klassischen“ und „genuinen“ Homöopathen gibt? Tatsächlich… Das sind die, die sich streng bis weitestgehend an Hahnemanns Lehre ausrichten, aber – jedenfalls öffentlich – kein Wort dazu sagen, dass als „Homöopathie“ auch der ganze bunte Strauß bezeichnet wird, der mehr oder weniger gegen klare Anweisungen von Hahnemann verstößt, den er im „Organon der Heilkunst“ niedergelegt hat.
Und wozu führt das Ganze? Unter anderem dazu, dass Ihnen so ziemlich jeder Homöopath erzählt, den Sie nach einer vorherigen erfolglosen Therapie aufsuchen, der Kollege vorher habe es zwar gut gemeint, aber was er gemacht habe, sie gar keine „richtige Homöopathie“, die gebe es nur bei ihm… Eine der in die Pseudomedizin „eingebauten Ausreden“ bei Unwirksamkeit, um den Patienten bei der Stange zu halten.
Markenzeichen: Pseudomedizin
Dies alles, liebe Leserinnen und Leser, ist generell sehr typisch für pseudomedizinische Methoden. Wir haben schon zur Akupunktur gehört, dass es eine Unzahl von Meridian- und Punktelehren gibt, die alle angewendet werden (Spoiler: falsch sind sie alle). Ein weiteres Beispiel ist die im Heilpraktikerbereich so gern angewandte Irisdiagnose, bei der fast jeder „Diagnostiker“ nach einem anderen Augenschema arbeitet und trotzdem seine „Diagnose“ stellt.
Es fehlt also an einer vernünftigen gemeinsamen Grundlage. Daraus ergeben sich noch grundsätzlichere Gedanken, die darüber hinausgehen, all das als Kuriosum abzutun. Diese fehlende Grundlage belegt nämlich die Unwissenschaftlichkeit der Homöopathie in einem sehr grundsätzlichen Sinn.
Nicht alles, was sich als Wissenschaft gebärdet – mit wissenschaftlichem Duktus, Veröffentlichungen, „Forschung“ und dergleichen – ist auch Wissenschaft. Was darf man mit Fug und Recht von einem Gebiet erwarten, das vorgibt und einfordert, eine „Wissenschaft“ zu sein ?
Am Anfang einer wissenschaftlichen Erkenntnis oder Methode steht eine Hypothese, die Grundlage dessen, was durch weitere Untersuchung entweder zu einer Theorie reift oder aber verworfen wird, weil sich die grundlegenden Annahmen nicht halten lassen. Die Hypothese soll dabei Grundlagen und Prinzipien liefern und allen Beteiligten am weiteren Procedere eine einheitliche Basis bieten. Den Aufstieg in den Rang einer Theorie kann eine Hypothese erst dann beanspruchen, wenn belegt wird, dass sie zu belastbaren allgemeingültigen Schlussfolgerungen führt. Ein andauerndes Revidieren und Erweitern an der Ausgangshypothese – unter Inkaufnahme stetig zunehmender Widersprüchlichkeiten – statt einer „Reifung“ zu einer abgerundeten Theorie sind jedoch Zeichen dafür, dass etwas nicht stimmt: Nämlich dafür, dass die Ausgangshypothese nicht tragfähig war. Geht man nicht den konsequenten Schritt, die Ausgangshypothese zu verwerfen, dann landet man bei einer Pseudowissenschaft, die sich aufspaltet, variiert, zerfasert, sich von der Ausgangshypothese irgendwann fast ganz entfernt, nur noch deren Namen trägt und damit jede Glaubwürdigkeit verliert. Es entsteht infolgedessen kein zusammenhängendes Gebäude von einander stützenden Forschungsergebnissen, sondern eher eine ständig irgendwo undichte Bretterbude.
Müssen wir noch darüber diskutieren, welcher Kategorie die Homöopathie mit ihren nie bewiesenen Grundlagen, ihren unzähligen Varianten, die zudem der ursprünglichen Lehre oft auch noch diametral widersprechen, zuzurechnen ist? Wir denken nicht. Es liegt auf der Hand, dass die Homöopathie -ebensowenig wie andere pseudomedizinische Methoden, die sich durch scheinbare „Vielfalt“ (in Wirklichkeit: Unbestimmtheit) auszeichnen- keine Wissenschaft eines „sicheren Ganges“ (Kant) ist. Alles was diese „Vielfalt“ zusammenhält, ist das Wort „Homöopathie“. Hahnemann wäre vermutlich entsetzt – zum einen über die Misshandlung seiner Lehre (er sagte ja bekanntlich „Macht’s nach, aber macht’s genau nach“) und zum anderen aber wohl auch darüber, dass seine Exegeten offenbar außerstande sind, sich mit dem wissenschaftlichen Fortschritt auseinanderzusetzen. Wir sind sicher, dass er sich selbst – hätte er länger gelebt – trotz seiner bekannten Sturheit dem wissenschaftlichen Fortschritt nicht verschlossen hätte.
Was wir heute insgesamt an „Homöopathie“ vor uns sehen, hätte er wohl in seiner Ausdrucksweise „eine Kinderey von Unwissenden, in Trümmern meine Lehre, zudem blind gegen neue Erkenntniss“ genannt…
Bildnachweis: Fotolia_82538578_XS / 86693136_XS
Für Unerschrockene: Der „Varianten“-Beitrag auf unserer Homöopedia:
Artikel: Varianten der Homöopathie
Dr. Natalie Grams zum Thema bei „Forum Wissenschaft“:
Wie wissenschaftlich ist die Homöopathie?
Zum Weiterlesen auf dem Blog „Die Erde ist keine Scheibe“:
Herzlich willkommen in der Welt der Wissenschaft
Abschied vom Paralleluniversum
Wie kann man nur gegen Alternativmedizin sein?
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