Homöopathie und Anthroposophie – geht das zusammen?
Hier und da haben wir die Berührungspunkte zwischen Homöopathie und Anthroposophie schon einmal kurz gestreift. Das hat nicht nur zu vielen Aufrufen unseres Anthroposophie-Artikels geführt (danke!), sondern auch zu einer Reihe direkter Anfragen, was denn nun das eine mit dem anderen wirklich zu tun habe. Diese Frage wollen wir gern versuchen zu beantworten.
Hahnemann sprach von Homöopathie als der „rationalen Heilkunde“ und fühlte sich als Teil der wissenschaftlichen Welt seiner Zeit. Ohne Zweifel verstand Hahnemann sein Handwerk nach den damaligen Maßstäben und hatte durchaus die Absicht, seine Lehre rational zu begründen, wozu ihm allerdings die Beweisgrundlagen damals fehlten. Seine Postulate des Simileprinzips (Ähnliches heilt Ähnliches) und der geistigen Lebenskraft haben zweifellos esoterischen Charakter, jedenfalls aus heutiger Sicht und beziehen dies aber aus früher als durchaus naturwissenschaftlich geltenden Ideen (wie dem Vitalismus). Die heutigen Vertreter der homöopathischen Szene leugnen diese Herkunft zwar nicht durchweg, aber es ist eines ihrer großen Anliegen, der Homöopathie einen Platz im anerkannten wissenschaftlichen Kontext zu verschaffen. Genau darauf zielen all die Versuche ab, eine Wirkung der Homöopathie sozusagen „nachträglich“ auf naturwissenschaftlicher Grundlage nachzuweisen (was nicht nur misslingen muss, sondern mangels Nachweis einer Wirkung überhaupt ohnehin einigermaßen sinnfrei ist). Aber: Der Anspruch, eine wissenschaftliche Methode zu vertreten, der war und ist vorhanden bei den Homöopathen. Nichts würde sie glücklicher machen, als dies zu erreichen.
Und bei den Anthroposophen? Bei der Anthroposophie handelt es sich um eine gänzlich auf okkult-esoterischen Dingen aufbauende Lehre, die – hundert Jahre nach Hahnemann – völlig neu begründet wurde, und zwar durch eine einzelne Person, Rudolf Steiner. Seine Lehren gehen im Kern auf angebliche „hellseherische Eingebungen“ zurück, der „okkulten Schau“ der berühmten Akasha-Chronik, die Steiner alle Weltgeheimnisse offenbart haben soll. Wissenschaftlichkeit im üblichen Sinne des Wortes beansprucht die Anthroposophie gar nicht, sie sieht sich vielmehr selbst als „die“ Wissenschaft, die komplett mit einem eigenen Welterklärungsanspruch an die Stelle der „klassischen“ Wissenschaft treten will (Steiner war davon überzeugt, dass in kurzer Zeit alle vorhandene Wissenschaft im anthroposophischen Wissenschaftsbegriff aufgehen würde – glücklicherweise ist nichts dergleichen passiert). Sie bezeichnet sich selbst als „Geisteswissenschaft“. Aber nicht in dem Sinne, wie Geschichte, Sprachen oder Philosophie Geisteswissenschaften sind, sondern im Sinne der „wirklichen, wahren Wissenschaft“, deren Grundlage die „geistige Schau“ ist und nicht die naturwissenschaftliche Methode. Alle Ausdeutungen der anthroposophischen Lehre, auch die anthroposophische Medizin, greifen im Kern auf Steiners esoterische Weltschau und ihren Allgültigkeitsanspruch zurück und bedienen sich nicht fassbarer (nicht falsifizierbarer) esoterischer Grundgedanken, sind also als pseudowissenschaftlich einzuordnen.
Nach der Steinerschen Lehre ist das harmonische Zusammenwirken der vier „Wesensglieder“ bestimmend für Gesundheit und Krankheit eines Menschen. Voraussetzung für eine solche Harmonie ist ein spirituelles Leben nach anthroposophischen Vorstellungen und Regeln. Krankheit entsteht, wenn das harmonische Gleichgewicht der Wesensglieder zueinander gestört ist. Ebensowenig fehlt der Aspekt, den Kranken für seine Krankheit selbst verantwortlich zu machen, da er wohl nicht genug für sein eigenes persönliches Gleichgewicht tue (sprich die Anweisungen der Lehre nicht ausreichend befolge) – ein besonders verwerflicher Aspekt okkulter Krankheitslehren. Im Falle der Anthroposophie durch deren Karmalehre sogar noch ausgedehnt auf falsches Verhalten (karmische Schuld) in früheren Daseinsformen. Besonders die Sichtweise auf die Entwicklung der Kinder ist bei der Anthroposphie massiv von diesen Ideen beeinflusst. Zu den Mittelfindungen der Anthroposophie haben wir weiter unten einen guten Beitrag von Dr. Colin Goldner verlinkt.
Was heißt das nun für die Medizin? Hahnemann trat mit dem Anspruch auf, durch Versuche (die Arzneimittelprüfung am Gesunden) herauszufinden, welche Dinge als Urstoffe für seine homöopathischen Arzneien geeignet seien. Ein durchaus naturwissenschaftlich orientierter Ansatz, zweifellos, den haben die Homöopathen auch immer stolz als den „empirischen Teil“ ihrer Methode hochgehalten. Leider ist er -wegen der völligen Subjektivität seiner Ergebnisse- natürlich ungeeignet für einen sinnvollen Erkenntnisgewinn. Aber der Unterschied zu Steiners Lehre wird hier sehr deutlich: Hahnemann versuchte eine naturwissenschaftliche Positionierung unter den Bedingungen seiner Zeit, die esoterischen Anwandlungen in seiner Methode sind Rückgriffe auf frühere Vorstellungen mangels anderer Erklärungsmodelle. Bei der Anthroposophie ist es grundlegend anders. Dort wird aus einem ganz neu entwickelten (na ja, teils auch ekletizistisch zusammengesuchten) okkult-esoterischen Grundbestand an Ideen und Vorstellungen alles mögliche herausentwickelt – auch ein medizinischer „Ansatz“. Ohne dass Steiner irgendwelche medizinische Vorbildung besessen hätte. Anthroposophische Medizin war eben ein Teil der Gesamtlehre, aus ihr entsprungen, nicht anders als beispielsweise anthroposophische Pädagogik. Ganz nebenbei – das Verhältnis der Anthroposophie zu Impfungen ist ein besonderes, zu diesem Thema halten wir einen besonderen Artikel bereit.
Man könnte also sagen, Homöopathie und anthroposophische Medizin haben gar nichts miteinander zu tun. Weshalb stehen aber nun trotzdem auf vielen Mitteln die Bezeichnungen „homöopathisch / anthroposophisch“?
Die Zubereitung vieler (der meisten) nach anthroposophischen Grundsätzen „gefundenen“ Mittel nutzen zwar die Potenzierungsgrundsätze Hahnemanns (z.B. die Dezimalschritte), deshalb findet man auch die üblichen Potenzangaben in den Produktinformationen (D4, C30 usw.). Dabei setzen die Anthroposophen allerdings nicht auf das berühmte Verschütteln, sondern haben eigene Methoden (z.B. Sonnenbestrahlung der Mittel) um die anthroposophische Arzneikraft hervorzulocken. Aber die Kombination aus Verdünnung und Ritual gibt es bei ihnen auch. Warum? Zum einen, weil der esoterische Ansatz eine Dosis-Wirkungs-Beziehung nicht braucht, denn auch er setzt auf vitalistische „Kräfte“ oder „Vorgänge“ (die zu Steiners Zeiten längst obsolet waren), zum anderen aber auch aus dem gleichen Grund, aus dem Hahnemann zur Potenzierung fand: Zur Sicherheit. Denn auch (und gerade, man denke an Metalle) bei der Anthroposophie werden Ausgangsstoffe verwendet, die bei relevanten Mengen der Gesundheit wohl wenig zuträglich wären. Was lag also näher, als sich bei dem Problem, die eigenen Anhänger nicht zu vergiften, beim fertigen Gedankengebäude Hahnemanns zu bedienen?
Die Frage ist die, ob es gestattet ist, den menschlichen Organismus den Nebenwirkungen auszusetzen, die entstehen durch dasjenige, was mit allopathischer Substanz zugeführt wird und was vom menschlichen Organismus selbst nicht homöopathisiert wird, also nicht verwendet wird zu der Heilung; die Frage ist, ob diese Methode wirklich erlaubt ist, um den menschlichen Organismus nicht zu belasten mit demjenigen, was übrigbleiben muß. (Fragenbeantwortung, 30. März 1920, nach Vortrag von Eugen Kolisko über «Anthroposophie und Chemie», Rudolf-Steiner-Gesamtausgabe GA 73a, http://fvn-archiv.net/PDF/GA/GA073a.pdf)
So finden sich heute von den einschlägigen Herstellern Mittel in den Apothekenregalen, bei denen Grundstoffe nach anthroposophischen (okkulten) Grundsätzen festgelegt wurden (Hahnemann hätte vermutlich nach Atem gerungen, denn eine weltanschauliche Begründung seiner Methode lehnte er völlig ab), die Zubereitung aber nach homöopathischen Grundsätzen vorgenommen wurde. Was für eine Kombination. Wundern Sie sich also, liebe Leser, über nichts mehr… Auch nicht darüber, wenn ein Anthroposoph fünfe gerade sein lässt und anthroposophische Medizin als Homöopathie nach Hahnemann verordnet. Gibt es auch… und dass dies auch aus Marketinggründen so gewollt ist, daran lässt z.B. die Fa. Weleda auch keinerlei Zweifel aufkommen:
Auch sei die Werbung weiterhin so geplant, dass für alle pflanzlichen, homöopathischen und anthroposophischen Stoffe mehrere Lesarten der Produkte möglich seien.“ (Apotheke Adhoc – „Weleda in Angriffsstimmung“ , 2010)
So siehts aus…
Zum Weiterlesen:
Colin Goldner über anthroposophische Mittel und ihre Bezüge:
http://www.sueddeutsche.de/wissen/teil-anthroposophische-heilkunde-offenbart-in-mystischer-schau-1.927047
Rezension zum Buch „Anthroposophie – Eine kurze Kritik“ von André Sebastiani
http://www.wissenbloggt.de/?p=52005
Bildnachweis: Gemeinfrei / eigener Remix
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