Ein Erkältungsmittel – nichts drin, nichts dran, glücklicherweise…
Liebe Leserinnen und Leser,
wir schimpfen so oft über sinnlose und unwirksame Mittel, vor allem die der Homöopathie. Heute möchten wir Ihnen einmal näherbringen, was ganz konkret so über die Apothekentheke gehen kann, im Vertrauen darauf, dass es sich ja immerhin um ein „apothekenpflichtiges Arzneimittel“ handelt, das aber sein Vorhandensein auf dem Markt dem „Binnenkonsens“ nach dem Arzneimittelgesetz verdankt – aber nicht unabhängigen wissenschaftlichen Untersuchungen.
Es gibt da so ein Präparat, das „meistgenutzte homöopathische Arzneimittel bei Erkältungskrankheiten“, das uns während der Erkältungssaison in der Werbung vielfach begegnet. Inzwischen nicht mehr nur als Tropflösung, sondern auch als Globuli erhältlich. Klar, Meditonsin, kennt (fast) jeder. Damit wollen wir uns heute näher beschäftigen. Und zwar ausschließlich auf der Grundlage allgemein zugänglicher Informationen, einschließlich der Angaben, die uns die Herstellerfirma selbst liefert. Kann es uns und vor allem unseren Kindern helfen?
Homöopathisches Mittel?
Naja… nach den homöopathischen Grundsätzen von Samuel Hahnemann, dem Ur- und Übervater der Homöopathie, eigentlich nicht. Das Mittelchen besteht aus der Kombination dreier einzelner Bestandteile, was mit der wunderbaren Wortschöpfung „homöopathischer Trikomplex“ bedacht wird. Nur – leider bestand Hahnemann eisern darauf, dass bei seiner „echten Heilkunst“ unter allen Umständen nur ein einziges Mittel verabreicht werden dürfe – er hatte innerhalb seines Systems gute Gründe dafür. Nur dafür genehmigte er das Markenzeichen „Homöopathie“. Vom Paradox einer „Selbstbehandlung“ in der Homöopathie gar nicht zu reden. So ein Pech aber auch. Aber – geschenkt. Ob ein Monopräparat oder ein Komplexmittel nicht wirkt, ist ja eigentlich nebensächlich, nicht wahr?
Aber was ist nun im Einzelnen da drin? Oh, so wunderbare, für sich genommen ziemlich giftige Bestandteile wie Quecksilbercyanid (das Blausäuresalz des Quecksilbers), blauer Eisenhut (Aconitium) und Tollkirsche (Atropin). Unverdünnt genommen, bräuchte sich niemand mehr Sorgen um seine Erkältung zu machen. Und Quecksilber! Meine Güte! Wer hätte gedacht, dass diese Bestandteile gegen Erkältungen wirksam sein könnten? Und – äh – sanft und natürlich?!?
Interessant ist, wie sich das Präparat über die Jahre zu einem „homöopathischen Trikomplex“ entwickelt hat:
Für 1976 finden wir folgende Inhaltsangaben in der „Roten Liste“: Aconitinum napellus (Blauer Eisenhut) D4 10 g, Atropinum sulfuricum (Atropinsulfat, Belladonna) D4, Cetylpyridiniumchlorid D2, Quecksilbercynanid D4. Hier hatte man das vorher enthaltene cancerogene (krebserregende) Kaliumdichromat entfernt, dafür Aconitin (Blauer Eisenhut) und vor allem das Biozid Cetylpyridiniumchlorid hinzugefügt.
Letzteres nun ist sicherlich kein homöopathisches Mittel, das nach dem Grundsatz „Ähnliches heilt Ähnliches“ mit einer Arzneimittelprüfung am Gesunden ermittelt worden ist. Es ist ein übliches Rachendesinfiziens, das gern in gleicher Konzentration in vielen handelsüblichen „schulmedizinischen“ Präparaten gegen Halsentzündung verwendet wird.
1992 finden wir in der „Liste Pharmindex“ eine ähnliche Zusammensetzung, jedoch mit geänderter Konzentration. Das Präparat heißt nun Meditonsin N.
Die desinfizierende Wirkung der „alten“ Rezepturen war sicherlich vorhanden, beruhte aber auf dem direkten Effekt der bioziden Wirkstoffe, nicht auf der Magie der Homöopathie.
Atropinsulfat wurde auf 1/10, Quecksilbercyanid auf 1/10.000 (!) der vorherigen Konzentration heruntergesetzt. Warum? Aus Sicherheitsgründen, darf man annehmen. D4 für diese beiden hochtoxischen Bestandteile war nicht ganz ohne… zwar nicht bei bestimmungsgemäßer Anwendung. Aber je nach Einnahmehäufigkeit und -menge könnte vor allem bei Kleinkindern ein gewisses Restrisiko bestanden haben. Für die Desinfektionswirkung sorgte weiterhin 0,1% Cetylpyridiniumchlorid.
Der einzige einstmals nachweislich wirksame Stoff, das Cetylpyridiniumchlorid, ist heute gar nicht mehr enthalten und die restlichen Stoffe sind so stark verdünnt, dass die Ungiftigkeit, aber auch die Unwirksamkeit sozusagen garantiert werden können. Homöopathisch eben.
Und was sagt nun der Hersteller zu diesem bemerkenswerten Präparat, vor allem zur Wirksamkeit?
Zur Markteinführung der Meditonsin-Globuli neben den Tropfen vor etwa einem Jahr gab es eine Marketing-Offensive des Herstellers. Da konnte man beispielsweise folgendes in Presseartikeln (in Artikeln, jedenfalls nicht als Werbeanzeige gekennzeichnet) lesen:
“ … Um die Wirksamkeit eines der bekanntesten Homöopathika gegen Erkältungskrankheiten […] zu bestätigen, untersuchten Mediziner des Forschungsinstituts […] unter Einsatz modernster Zellkultur-Technik dessen Wirkung auf das menschliche Immunsystem. Die Ergebnisse waren eindeutig. Schon geringste Konzentrationen des enthaltenen homöopathischen Trikomplexes (darunter verstehen Experten (!) drei sich ergänzende… homöopathisch aufbereitete Naturstoffe (!)) reichten aus, um eine ausgeprägte Aktivierung bestimmter für die Immunabwehr wichtiger Botenstoffe zu bewirken. Der Körper hilft sich auf diese Weise selbst, eingedrungene Erkältungsviren schneller und effektiver anzugreifen und auszuschalten […] .“
Das Immunsystem ist ein komplexes Zusammenwirken vieler Komponenten im gesamten menschlichen Organismus, in vivo, wie der Mediziner sagt, im lebenden Körper. Wie man das Immunsystem in eine Laborschale bekommt, das wäre zweifellos eine nobelpreiswürdige Entdeckung. Auch hier wieder der Trikomplex… Drei giftige Grundstoffe ergänzen sich wozu? Wie weist man so eine „Ergänzung“ nach? Welche Botenstoffe? Effekte im Reagenzglas oder in der Petrischale, womöglich Abtöten von Viren oder Bakterien? Das geht bekanntlich auch per Pistolenschuss und hat dann etwa den gleichen Erkenntniswert. Es gilt auch hier die Grundregel des bemerkenswerten Randall Munroe alias XKCD.
Leider sind die originalen Studienunterlagen nicht öffentlich zugänglich. Aber es gibt einen Ausweg, denn der Hersteller selbst versorgt uns mit den nötigen Informationen.
Es findet sich von diesem in der Pharmazeutischen Zeitung online ein „Originalbeitrag“ unter dem Titel “ Anwendungsbeobachtung: Meditonsin bei Erkältung und grippalem Infekt“.
Auch hier taucht wieder auf, dass „aktuelle Daten dafür sprechen, dass dieser homöopathische Tri-Komplex gegen die typischen Erkältungssymptome wirkt und durch das „ganzheitliche homöopathische“ (wirkönnenesnichtmehrhören) Wirkprinzip die körpereigenen Abwehr- und Selbstheilungskräfte unterstütze. Es sollen sogar die Ergebnisse einer „Anwendungsbeobachtung“ diese bemerkenswerten Angaben belegen.
Oha.
Was hat man sich nun hier unter einer Anwendungsbeobachtung vorzustellen?
Sehr einfach. Die „Anwendungsbeobachtung“ bestand darin, in Apotheken Fragebögen an Schnupfenpatienten zu verteilen und wieder einzusammeln. Und zwar an solche, die ganz offensichtlich bereits zugunsten des Mittels Meditonsin positiv voreingenommen waren (immerhin hatten sie sich aus „wichtigen Gründen“, wie ausdrücklich erwähnt wird, selbst bereits für Meditonsin „entschieden“). Zudem unstrukturiert, weder nach Alter, Geschlecht und insbesondere nicht nach (diagnostiziertem) Krankheitszustand vergleichbar. Außerdem allein auf der Basis einer Selbsteinschätzung, also völlig subjektiv. Und wo sind die Leute von der Vergleichsgruppe, die bei gleicher Symptomatik überhaupt kein Meditionsin nahmen, mit ihren Fragebögen? Genau das ist der eigentlich entscheidende Punkt: Keine wertende Aussage ohne Vergleich!
Was da wohl herauskommen mag, fragt man sich. Aber eigentlich liegt es auf der Hand:
„[…] Alle Erkältungsbeschwerden zeigten eine deutliche Besserung im Verlauf der Erkrankung. Dabei verbesserten sich die Leitsymptome im Schnitt bereits ab dem zweiten Tag nach Beginn der Behandlung. […] Die Einnahme wurde meist deshalb beendet, weil die Symptome »ausreichend gebessert« waren oder weil sich die Patienten wieder »gesund« fühlten. […]“
Berücksichtigt man zudem, dass der Einnahmebeginn nach Angaben der „Studie“ zwischen einem und drei Tagen nach Symptombeginn lag, ist das Ergebnis so was von eindeutig:
Ohne Behandlung dauert die Erkältung eine Woche. Mit Behandlung etwa sieben Tage. Heilung per natürlichem Krankheitsverlauf bzw. Regression zur Mitte.
Na toll. Das ist also ein Beleg für die Wirksamkeit eines als „Arzneimittel“ vertriebenen Produktes? Ernsthaft?
Ein eigentlich unglaubliches Beispiel, wie dem Publikum heiße Luft als Werbung für Nichts dargeboten wird. Um Missverständnissen vorzubeugen: All das gilt für Tropfen wie für Globuli.
Der Unterschied zwischen beiden ist der Alkoholgehalt der Tropfen, der nach Herstellerangaben 6 Volumenprozent beträgt.
Dazu der Hersteller: „Das homöopathische Komplexmittel Meditonsin® enthält Alkohol in geringer Menge (6 Vol.-% Ethanol). Zum Vergleich: Eine ganze Flasche Meditonsin® enthält mit 1,5 g Ethanol gerade mal soviel Alkohol wie eine reife Banane. Der Alkoholgehalt ist somit auch für Kinder völlig unbedenklich.“
Von der absoluten Menge her stimmt das zwar – jedenfalls in grober Näherung. Aber einen ähnlich entspannten Umgang mit unschädlichen Mengen würde man sich von Homöopathen auch sonst wünschen, z.B. bei den Konservierungs- und Wirkverstärker-Zusätzen in Impfstoffen. [1] Auch Oktoberfestbier hat übrigens um die 6 Volumenprozent Alkohol, reife Bananen so etwa 0,6 Volumenprozent (also kann man bei einer durchschnittlichen gut reifen Banane von 150 g mit einer absoluten Menge an Ethanol von rund 1 g rechnen). Immerhin enthält der Beipackzettel einen Warnhinweis für Alkoholkranke – zu Recht. Problem bei Babys und Kleinkindern: Die geringe Hemmschwelle, das Mittel „nach Bedarf“ zu dosieren (wozu nach unserer Kenntnis durchaus auch von Fachpersonal ermuntert wird, es handelt sich ja um „nebenwirkungsfreie, sanfte Medizin“), kann schon dazu führen, dass bei den Kleinen eine unerwünschte Alkoholwirkung eintritt. Die dann für eine Besserung der Erkältungskrankheit gehalten wird… Bei den Globuli kein Problem. Denn da verdunstet eh alles auf den besprühten Zuckerkügelchen.
Ach ja, bevor wir es vergessen: Die übliche Rückversicherung homöopathischer Therapeuten gegen Misserfolg ist natürlich auch in der Packungsbeilage vermerkt: „Die Wirkung eines homöopathischen Arzneimittels kann durch allgemein schädigende Faktoren in der Lebensweise und durch Reiz- und Genussmittel ungünstig beeinflusst werden.“ Dazu hier mehr.
Meditonsin hat demgemäß nicht einmal die Vermutung einer spezifischen Wirksamkeit für sich, geschweige denn einen Beleg. Weder sind Bestandteile in physiologisch ausreichend wirksamen Mengen enthalten, noch gibt es einen Beleg, dass die Bestandteile überhaupt zur Behandlung von „Erkältungskrankheiten“ geeignet sind. Wären physiologisch wirksame Mengen der Bestandteile enthalten, würde sich zunächst die toxische Wirkung zeigen. Hier wird besonders deutlich, dass die Homöopathen gar nicht auf eine physiologische Wirksamkeit ihrer Mittel setzen (denn die wäre hier fatal), sondern allein auf die Wirkungen der „geistigen Arzneikraft“.
Nicht einmal mehr von einer lokal desinfizierenden Wirkung wie bei vielen handelsüblichen Präparaten kann man inzwischen noch ausgehen. Die medizinische Fachinformation zum Präparat ist da denn auch konsequent und verlangt „keine besonderen Anforderungen für die Beseitigung“. Man kann es also beruhigt in den Abfluss schütten. Bei der Herstellung sind die Reste der Potenzierungsschritte – und damit fast der gesamte Urstoff – eh schon dort gelandet. Und da es sich hierbei nun mal um das „meistgenutzte Präparat gegen Erkältungsbeschwerden“ vor allem bei Kindern handelt, sei in diesem Zusammenhang noch einmal der wichtige Hinweis erlaubt:
Die unnötige Einnahme von unwirksamen Mitteln gewöhnt (konditioniert) Kinder für ihr späteres Leben daran, bei jeder kleinen Gesundheitsstörung, möglicherweise sogar schon bei reinen Störungen des Wohlbefindens, zu einem „Mittelchen“ zu greifen. Und das ist fatal. Da verweisen wir lieber auf Susannchens Erkältungstipps bei Facebook.
Unsere Links im Text führen zu interessanten weiterführenden Informationen!
[1] Die Europäische Arzneimittelbehörde EMA empfiehlt in einem „Reflection Paper“ für jegliche (phytotherapeutische) alkoholhaltige Arzneigabe an Kindern einen Mindestabstand von vier Stunden, ansonsten so große Abstände wie möglich und ohnehin keine längerdauernde Gabe solcher Mittel – bei Kindern unter sechs Jahren nicht mehr als eine Woche – wegen der Gefahr der Akkumulation:
The dose interval should be kept as long as possible, however it should be at least 4 hours to avoid accumulation. The whole treatment period should be as short as possible. For children below 6 years of age, adequate justification must be provided if the treatment exceeds one week.
REFLECTION PAPER ON ETHANOL CONTENT IN HERBAL MEDICINAL PRODUCTS AND
TRADITIONAL HERBAL MEDICINAL PRODUCTS USED IN CHILDREN, LONDON 14. JANUARY 2010
Dieses Paper aus 2010 gilt unter Fachleuten bereits als überholt, da nicht streng genug. Ob der Hersteller vielleicht besser einen ensprechenden Hinweis in den Beipackzettel aufgenommen hätte statt einer pauschalen „Beruhigungspille“ in Sachen Alkoholgehalt… ?
Bildnachweise:
Giphy / Eigenes Foto / Randall Munroe (XKCD.com) – creative commons license -(http://creativecommons.org/licenses/by-nc/2.5/) / Eigenes Meme
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