Zur Kritik an unserer Homöopathiekritik – III: „Wissenschaftler sagen, Homöopathie ist unmöglich“
Liebe Leserinnen und Leser,
heute setzen wir unsere Reihe mit Antworten auf die „Kritik an der Homöopathiekritik“ fort, die das Homeopathy Research Institute (HRI) in 13 Einzelbeiträgen auf seiner Homepage veröffentlicht hat. Heute geht es darum, was „Wissenschaftler sagen“.
„Wissenschaftler sagen, Homöopathie ist nicht möglich“ – teilt uns das HRI in Teil 3 seiner Artikelreihe mit. [1]
Was Wissenschaftler aber tatsächlich sagen, ist Folgendes:
- [Wir schließen aus unseren Untersuchungen,] dass die Behauptungen zur Homöopathie unplausibel sind und im Widerspruch zu den etablierten wissenschaftlichen Grundlagen stehen.
- Wir erkennen an, dass bei einzelnen Patienten ein Placebo-Effekt auftreten kann, aber wir stimmen früheren ausführlichen Untersuchungen zu und schließen daraus, dass keine Krankheiten bekannt sind, für die es robuste und replizierbare Nachweise gäbe, dass die Homöopathie über diesen Placebo-Effekt hinaus wirksam sei. [2]
Da ist zwar keine Rede von „unmöglich“, es ist aber eine korrekte Darstellung dessen, was die internationale Wissenschaftsgemeinde über die Homöopathie zu sagen hat.
Denn die Wissenschaft ist bescheiden: Im Gegensatz zu vielfachen Unterstellungen erhebt sie nicht den Anspruch, über absolutes Wissen, die reine wahre Wahrheit, zu verfügen. Gemessen daran ist das, was das obige Zitat des Beirats der Vereinigung der Europäischen Wissenschaftsakademien (EASAC) besagt, die Schlussfolgerung aus dem derzeit gesicherten aktuellen Wissen. Mehr geht nicht.
Das öffnet aber keineswegs Tür und Tor für Spekulationen im Sinne von „alles ist möglich“ oder „die Wissenschaft ist noch nicht so weit“. Darauf werden wir weiter unten noch näher eingehen.
Warum ist die Homöopathie „unplausibel“ und „im Widerspruch zu gesicherten Erkenntnissen“?
Das ist ein weites Feld. Die Homöopathie ist voller Ungereimtheiten (innere Widersprüche), Unvereinbarkeiten mit bewährtem vorhandenen Wissen (äußere Widersprüche) und es fehlt ihr an einem auch nur halbwegs plausiblen Erklärungsmodell eines Wirkungsmechanismus. Die Webseite des INH hält dazu eine Menge Informationen bereit. Deshalb hier nur einige grundlegende Dinge dazu:
– Unplausibilität (innere Widersprüche)
Nach dem Ähnlichkeitsprinzip soll ein homöopathisches Mittel in der Lage sein, bei einem Kranken die Beschwerden zu heilen, die es bei einem Gesunden auslösen kann („Homöopathie“ = „ähnlich dem Leiden“). Festgestellt werden soll die „Wirkung“ des homöopathischen Mittels ja durch eine „Arzneimittelprüfung am Gesunden“.
Eine gefährliche Angelegenheit! Man bedenke: Bekommt jemand das „falsche“ Mittel, das nicht genau zu seinem „Symptomenkomplex“ passt, dann muss es ja bei ihm „krankheitserregend“ wirken! Sollte man die Kommentare der Therapeuten, es brauche eben seine Zeit, das „richtige“ Mittel herauszufinden, deshalb nicht höchst beunruhigt zur Kenntnis nehmen?
Woraus als Widerspruch folgt: Entweder ist die Arzneimittelprüfung unsinnig und ohne Funktion oder die Homöopathie kann weder nebenwirkungsfrei noch ungefährlich sein! Beides ist fatal für die Homöopathie – der Widerspruch insofern auch unauflöslich.
– Widerspruch zu gesichertem Wissen (äußere Widersprüche)
Beschränken wir uns hier auf die Betrachtung der „Wirkungsverstärkung durch Potenzieren“, also auf die Behauptung, im Zuge eines Verdünnungsvorgangs werde durch rituelles Schütteln eine wie auch immer geartete „Arzneikraft“ auf das Lösungsmittel übertragen und dabei auch noch verstärkt.
Es gibt hierfür keinen sinnvollen und widerspruchsfreien Erklärungsansatz. Selbst wenn es den gäbe: Es müsste ja auch noch erklärt werden, warum außerhalb der Homöopathie bei ähnlichen Prozessen diese Effekte nicht auftreten.
Nicht nur das: Diese Behauptung der Homöopathie widerspricht schlicht jeglicher praktischen Erfahrung in Technik und Alltag. „Verdünnung“, also die Entfernung eines Wirkstoffes aus einem Trägerstoff, verfolgt stets die Herabsetzung von deren „Wirksamkeit“. Man nennt dies die Dosis-Wirkungs-Beziehung, die schon Paracelsus mit seiner völlig richtigen Aussage „Die Dosis macht das Gift“ beschrieb.
Dies geschieht bei der Trinkwasseraufbereitung, bei der Herstellung von alkoholfreiem Bier, bei der Einnahme von Medikamenten nach der Vorschrift „10 Tropfen auf ein halbes Glas Wasser, gut umrühren“ und bei vielem mehr. Nie ist dabei aufgefallen, dass durch Schütteln – etwa durch hartes Abstellen der Kaffeetasse auf dem Tisch oder dem Transport des Kastens mit alkoholfreiem Bier im Kofferraum – der Effekt der Verdünnung ganz oder teilweise aufgehoben oder gar umgekehrt worden wäre!
Genau dies müsste aber nach der homöopathischen Lehre geschehen, wäre an der „Potenzierung“, der Steigerung der Wirksamkeit durch Verdünnen und Verschütteln, etwas dran. Und – woher „wissen“ die immer vorhandenen Verunreinigungen im Lösungsmittel (in „Potenzen“ von D4 bis D10), dass sie bei dieser Wirkungszunahme nicht „mitmachen“ sollen?
… und das bedeutet?
Auch wenn man redlicherweise nicht von einer „Unmöglichkeit“ eines solchen Erklärungsmodells sprechen soll (da dies nicht beweisbar ist), liegt sie doch faktisch nahe. Denn man muss in Betracht ziehen, dass große Teile der heutigen Naturwissenschaft umgeschrieben (wie?) werden müssten, um die behauptete Wirkungsweise der Homöopathie zu erklären. Selbst dann bliebe noch offen, wie das Nichteintreten dieser Effekte außerhalb des homöopathischen Umfeldes erklärt werden könnte.
Der Physiker Martin Lambeck hat einmal aufgezeigt, wieviele Nobelpreise für umwälzende Erkenntnisse fällig wären, wenn die Aussagen der Homöopathie tatsächlich wissenschaftlich nachgewiesen werden würden – dies sind geschätzt derzeit etwa 90! Und? Wo bleiben die?
Der wissenschaftliche Wandel
„Was das wissenschaftliche Establishment zu einem Zeitpunkt für unmöglich hält, ist zu einem späteren Zeitpunkt eine bewiesene Tatsache“.
Das ist die „moderne Form“ des viel gehörten „Es gibt mehr zwischen Himmel und Erde…“-Arguments. Diese vom HRI und anderen Vertretern der Homöopathie immer wieder in der einen oder anderen Form vorgebrachte Aussage ist – kompletter Unsinn und ein Einfallstor für jedwede Beliebigkeit. Wer so argumentiert, zeigt, dass er unwissenschaftlich denkt und nicht verstanden hat, worin die wissenschaftliche Methode besteht.
Ja, eine Methode, kein Glaubenssystem oder dergleichen. Die Wissenschaft versucht, sich der „Wahrheit“, besser der Realität, vor allem durch das Verbessern von Vorhandenem und dem Verwerfen von Falschem zu nähern. Dadurch wird erreicht, dass sich die Wissenschaft immer weiterentwickelt und ein immer besseres und umfassenderes Verständnis von den Vorgängen in der Natur erarbeitet. Das ist das Prinzip, auf dem im Grunde der gesamte naturwissenschaftliche Fortschritt der letzten rund 180 Jahre beruht. Dass dabei „Fehlerbereinigung“ geschieht, ist zwangsläufig und wesentlicher Teil der wissenschaftlichen Methode.
Aber das bedeutet eben nicht, dass alles, was heute für unmöglich gehalten wird, sich irgendwann einmal sozusagen zwangsläufig in gesichertes Wissen verwandelt. Es gibt Naturgesetze, die weder beeinflussbar sind noch durch etwas anderes ersetzt werden können. Diese Naturgesetze sind die Barriere für Spekulationen auf „alles ist möglich“ und „die Wissenschaft kann noch nicht…“. Perpetua mobilia sind unmöglich und werden es bleiben, ebenfalls Geschwindigkeiten oberhalb der Lichtgeschwindigkeit.
Gilt der eben zitierte Satz der Homöopathen deshalb nicht im Grunde viel eher andersherum? Der Schweizer Arzt und Forscher Wilhelm Löffler formulierte dazu sehr treffend: „Fast alle Irrtümer der Medizin, die im Volksglauben weiterleben, waren einst wissenschaftlich akzeptierte Theorien“.
Zusammengefasst:
Auch wenn unser Wissen über die naturwissenschaftlichen Zusammenhänge der Welt längst nicht vollständig ist, ist es doch sehr unwahrscheinlich, dass eines Tages die arzneiliche Wirksamkeit homöopathischer Präparate erklärbar wird.
Es ist ja nicht so, dass sich die Wissenschaft nicht längst intensiv mit der Homöopathie auseinandergesetzt hätte. Ergebnis: Der Widerspruch der homöopathischen Lehre zu dem im alltäglichen Leben, in Wissenschaft und Technik gesicherten Wissen ist zu groß. Es müssten schließlich nicht nur Modelle gefunden werden, die die Wirksamkeit der Homöopathie erklären, sondern sie müssten auch erkennen lassen, warum diese Effekte bei ähnlichen Vorgängen außerhalb der Homöopathie nicht auftreten – ohne dass sich diese Erklärungen widersprechen! Das wäre ein regelrechtes Auf-den-Kopf-Stellen ungeheuer vieler geltender Erkenntnisse – und ist damit so unwahrscheinlich, dass es als unmöglich angesehen werden kann.
„Die Wissenschaft“ weiß, dass sie nicht alles weiß. Ihr Gebäude ist aber inzwischen so bewährt, dass die Anforderungen an neue Bausteine, die Lücken füllen und Grenzen weiter hinausschieben können, gut definierbar sind. Deshalb kann die Wissenschaft heute auch gesichert darüber urteilen, dass die Homöopathie in ihr Gesamtgebäude nicht eingefügt werden kann: Rechteckige Bausteine passen nun mal nicht in kreisrunde Lücken.
Referenzen:
[1] HRI FAQ (https://www.hri-research.org/de/homeopathy-faqs/scientists-say-homeopathy-is-impossible/)
[2] EASAC-Positionspapier (http://www.easac.eu/fileadmin/PDF_s/reports_statements/EASAC_Homepathy_statement_web_final.pdf)
Die vollständige Version dieses Beitrages (Originalbeitrag) finden Sie auf dem Blog „Beweisaufnahme in Sachen Homöopathie“ von Dr. Norbert Aust, eine ausführlichere Version auf der Webseite des Informationsnetzwerks Homöopathie.
Bisher erschienen in dieser Reihe:
Teil I – Wissenschaftliche Nachweise
Teil II – „Positive Studien fehlen“
Bildnachweis: Fotolia_130625327_XS / Pixabay Lizenz CC0
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