Zur Kritik an unserer Homöopathiekritik – IV: „Es sind nur Zuckerkügelchen“
„Da ist nichts drin – Das sind nur Zuckerkügelchen!“
… eine weitere These der Homöopathiekritiker, die das Homeopathy Research Institute im vierten Teil seiner Serie gegen die Homöopathiekritik zu entkräften versucht. Ausnahmsweise korrigieren wir diese Aussage nicht (bekanntlich neigt das HRI ja zu unpräzisen Formulierungen, was die Wiedergabe homöopathiekritscher Äußerungen angeht). Nein, wir halten schon gleich zu Anfang fest: Homöopathische Globuli sind und bleiben in der Tat bei genauer Betrachtung nichts anderes als Zuckerkügelchen. Wir werden das im Nachfolgenden begründen.
Das HRI ergreift die Gelegenheit, gegen die Zuckerkugelthese „Ergebnisse der Grundlagenforschung“ zur Homöopathie ins Feld zu führen.
„Laborexperimente haben nachgewiesen, dass homöopathische Mittel nicht nur Zuckerkügelchen sind.“
… teilt uns das HRI mit. Ohne aber darauf einzugehen, was sie denn nun stattdessen sind? Und wieso kommt das HRI zu einer solchen Aussage – und hat das überhaupt etwas mit einem Nachweis homöopathischer Wirksamkeit oder gar eines Wirkmechanismus zu tun? Wir werden gleich sehen – hat es nicht.
Nehmen wir auch dies vorweg: Aus dem Nachweis von „irgendwas“ in, um, auf oder an den homöopathischen Mitteln wird schlicht abgeleitet, deshalb sei eine Wirksamkeit der Homöopathie gegeben. Was letztlich nur bedeutet, dass eine Wirksamkeit der Homöopathie gegeben sein muss, weil sich in den homöopathischen Mitteln „irgendwas“ findet. Sie erkennen sicherlich: Das ist ein logischer Zirkelschluss, weil ein Beleg aus etwas hergeleitet wird, das seinerseits des Beweises harrt (die Wirksamkeit der Homöopathie) – und beweist gar nichts.
Wir halten fest: Der Versuch des Nachweises physikalisch-chemischer Veränderungen in homöopathischen (Hoch)potenzen (hochwissenschaftlich high dilution research genannt) hat mit der Frage eines Nachweises der Richtigkeit von Hahnemanns Homöopathie gar nichts zu tun – es fehlt ganz einfach jede Vorstellung davon, wie diese Dinge denn überhaupt kausal zusammenhängen sollen. Warum postuliert man trotzdem so etwas? Man könnte es einen scheinrationalen Rettungsversuch nennen – aber bleiben wir einfach dabei, dass es wohl vor allem eine Art Selbstbestätigung für das homöopathiegeneigte Publikum ist. Schaulaufen sozusagen.
Wie sieht es konkret aus mit den „Laborexperimenten“?
Ganze zwei Ergebnisse der „homöopathischen Grundlagenforschung“ präsentiert uns das HRI. Aus dem Teil „Wissenschaftliche Studien“ unserer kleinen Serie ist sicher noch geläufig, dass „eine“ Studie für sich genommen eine Beweiskraft von nahezu Null hat. Sie bedarf der Bestätigung durch unabhängige Reproduktion der Ergebnisse. Dies gilt bei der Grundlagenforschung erst recht, weil es dabei ja darum geht, grundlegende, sozusagen unverrückbare Prinzipien zu postulieren, die allgemeine Geltung und Beweiskraft für ganze Theoriegebäude haben sollen.
Und da sieht es hier schlecht aus. Die vom HRI zitierten Arbeiten halten weder bei der Interpretation der Ergebnisse noch hinsichtlich des Designs und der Durchführung einem kritischen Blick stand. Sie sind entweder sehr umstritten (Antikörper auf weiße Blutkörperchen, offenbar handelt es sich hier um die bekannte Arbeit von Benveniste [1] – Stichwort Wassergedächtnis [2]) oder sind nur von sehr kleiner Effektstärke und widersprechen richtig betrachtet eigentlich der homöopathischen Lehre (Endler); näheres zu Letzterem enthält der ausführliche Artikel zum Thema auf Dr. Norberts Austs Blog „Beweisaufnahme in Sachen Homöopathie“.[3] [4]
Benveniste ist genau am Reproduktionsversuch geradezu krachend gescheitert, die Versuche von Endler wurden zwar repliziert, aber nicht so, dass man das als „unabhängig“ ansehen könnte – zudem ist das Ganze ein Wirrwarr von Ergebnissen geworden, das selbst von den Forschern unterschiedlich dargestellt wurde. Dass diese beiden Arbeiten vom HRI als die Spitzenergebnisse in Sachen Homöopathie-Grundlagenforschung präsentiert werden, spricht schon Bände.
Schon erledigt, könnte man sagen. Aber wir schauen noch ein wenig über den Labortischrand:
Geistige Arzneimittelkraft oder materieller Wirkungsnachweis?
So recht will Hahnemanns geschlossenes Konzept der Homöopathie gar nicht mit der Suche nach „materiellen“, also mit physikalisch-chemischen Methoden erfassbaren Effekten, zusammengehen. So wie Hahnemann die „Allopathen“, die „Schulmediziner“, bekämpfte, so bekämpfte er auch die „Materialisten“, die „Atomisten“ unter seinen Gegnern, die ihm die tragenden Säulen der „geistigen Lebenskraft“ (vis vitalis) und als Gegenstück die „geistige Arzneikraft“ im Heilmittel bestritten und auf einer materiellen Wechselwirkung als Grundlage jedes Arzneimitteleffekts bestanden.
Von schädlichen Einwirkungen auf den gesunden Organism, durch die feindlichen Potenzen […] kann unsere Lebenskraft als geistartige Dynamis nicht anders denn auf geistartige (dynamische) Weise ergriffen und afficirt werden und alle solche krankhafte Verstimmungen (die Krankheiten) können auch durch den Heilkünstler nicht anders von ihr entfernt werden, als durch geistartige (dynamische, virtuelle) Umstimmungskräfte der dienlichen Arzneien auf unsere geistartige Lebenskraft […] (Hahnemann, Organon der Heilkunst, § 16)
Einen seiner „Beweise“ für sein Konzept einer eben nicht materiell wirkenden und deshalb auch nicht nachweisbaren Arzneikraft glaubte Hahnemann in der Anwendung des Magnetismus als homöopathischem Mittel gefunden zu haben (er behandelt dies ausführlich in der 6. Auflage seines „Organon“ – was heute gern totgeschwiegen wird, denn das ist im Grunde der Beweis einer Placebowirkung durch Hahnemann selbst). Was nun mit der vom HRI ins Feld geführten Forschung zu materiell nachweis- und messbaren Effekten von Hochpotenzen so gar nicht übereinstimmen will:
Wie wollen sie endlich mit ihren atomistischen, materiellen Begriffen von den Wirkungen der Arzneien reimen, daß ein gut zubereiteter magnetischer Stahlstab, […], so eine gewaltige Umstimmung unseres Befindens erzeugen könne, daß wir heftige krankhafte Beschwerden davon erleiden, oder, was eben so viel, daß ein Magnetstab die heftigsten Übel, denen er als Arznei angemessen ist, schnell und dauerhaft heilen könne, selbst auf obige Art verdeckt, dem Körper genähert, selbst nur auf kurze Zeit genähert? Atomist! dich für weise in deiner Beschränktheit dünkender Atomist! sage an, welcher wägbare Magnettheil drang da in den Körper, um jene, oft ungeheuern Veränderungen in seinem Befinden zu veranstalten? … (Hahnemann, Reine Arzneimittellehre, 2. Auflage, II. Teil, S. 212).
Mehr als Verdünnen?
Die insofern doch sehr „materialistische“ Sicht der „Grundlagenforschung“ wird gern als „Fortschrittlichkeit“ oder „Weiterentwicklung“ dargestellt. Dass dies untaugliche Rationalisierungsversuche sind, zeigt sich jedoch an anderer Stelle deutlich: Am Hahnemannschen Dogma, dass die Verschüttelung eine „Information“ (die „geistartige Arzneikraft“) auf das Lösungsmittel übertrage und insofern mehr darstelle als eine zunehmende Verdünnung der Ursubstanz – daran halten die Homöopathen unbeirrt fest. Zitat HRI:
„Welche physikalisch-chemischen Veränderungen das Verschütteln genau hervorruft, und wie diese es dem Wasser ermöglichen, die Information der darin verdünnten Stoffe aufzunehmen, sind die großen Fragen, die die Forscher zu beantworten suchen.“
Auf falsche Fragen gibt es aber leider keine richtigen Antworten. Richtig wäre, zunächst zu fragen, ob es solche Phänomene überhaupt gibt / geben kann, erst dann macht es überhaupt Sinn, nach dem Wie zu fragen. So aber „unterschiebt“ uns das HRI mit dieser als Ausgangspunkt getarnten Frage bereits die Prämisse, dass es tatsächlich über physikalisch-chemische Vorgänge hinausgehende Effekte („Möglichkeit des Wassers, Informationen über darin verdünnte Stoffe aufzunehmen“) in homöopathischen Hochpotenzen gibt, die „nur noch“ der Erforschung bedürften. (Wobei wir mal ganz davon absehen wollen, dass das HRI hier in einem Satz gleichzeitig von „physikalischen-chemischen Veränderungen“ und „Information der darin verdünnten Stoffe“ spricht.)
So geht es aber nicht. Man darf nicht auf den Trick der „falschen Prämisse“ hereinfallen, die jemand in eine Diskussion als stillschweigende Voraussetzung „einschmuggelt“, um eine darauf aufbauende Scheindebatte führen zu können. Genau das geschieht hier. Dass das Wasser zur Aufnahme von Informationen (oder was auch immer) per homöopathischer Potenzierung fähig sei, ist unbewiesen, es gibt dafür keine Belege, nicht einmal eine Plausibilität. Damit ist eine darauf aufbauende Argumentation von vornherein nicht stichhaltig. Sehr wohl aber gibt es dagegen die ständig in Alltag und Technik bewährten physikalisch-chemischen Grundlagen, die uns sagen, dass eine Verdünnung eine Verdünnung ist und bleibt und nicht zu einer ominösen „Informationsübertragung“ mutiert, nur weil eine homöopathische Ursubstanz im Spiel ist (die einfach zu einer solchen „erklärt“ wird). Ein spezifischer Effekt, der „Informationen“, „Schwingungen“, „Frequenzen“ oder „Energien“ auf das Wasser übertragen könnte, ist nicht bekannt. [5]
Der Hinweis des HRI auf das Bemühen der „Forscher“ entpuppt sich damit als rhetorisch-argumentativer Trick, bar jedes Inhalts.
In der Praxis – wovon reden wir überhaupt?
Gehen wir noch einen Schritt weiter und versuchen einmal, die Größenordnungen zu erfassen, vor deren Hintergrund sich all diese Behauptungen entfalten. Die „Rechenaufgaben“ zur homöopathischen Potenzierung sind hinlänglich bekannt. Sehr schnell kommt man dabei an die Grenze der Vorstellbarkeit. Wie wäre es, wenn wir uns einmal von der Seite der Sache nähern, mit wieviel „Ursubstanz“ man welche Mengen an handelsüblichen Globuli herstellen kann?
Beim Potenzieren nimmt die Konzentration des Arzneistoffes rapide ab. Schon eine Niederpotenz von D6 enthält weitaus mehr unvermeidbare Verunreinigungen des Trägerstoffs (selbst in der höchsten verfügbaren Reinheitsstufe) als Ursubstanz. 100 kg D6-Globuli (Reinheit 99,6 %) enthalten 400 g zufällige Verunreinigungen und 0,001 g (!) Urtinktur-Wirkstoff. Höchst bemerkenswert!
Rechnen wir weiter. Aus einem Gramm Urtinktur kann man 100 Tonnen Globuli D6 herstellen. Man braucht fünf Sattelschlepper mit je 20 to Tragkraft, um diese Menge zu transportieren:
Bei D12 entstehen aus einem Gramm Urtinktur so viele Globuli, dass 1250 Schüttgutfrachter der PANAMAX Klasse (mit je 80.000 to Kapazität) diese so gerade eben aufladen können – alle zusammen mit einem Wirkstoffgehalt, der einem Drittel eines Stückes Würfelzucker entspricht.
Und da sind wir noch längst nicht bei dem angekommen, was die Homöopathen im eigentlichen Sinne als „Hochpotenzen“ bezeichnen, gemeinhin sind damit die Potenzierungen ab C30 gemeint.
Fazit
Man darf also mit ruhigem Gewissen selbst Globuli in Niederpotenzen als reine Zuckerkugeln bezeichnen. Sehr reine Zuckerkugeln sogar – denn die selbst bei Laborqualität im Zucker enthaltenen unvermeidlichen Begleitstoffe sind weitaus höher enthalten als Reste der Ursubstanz (soweit davon überhaupt noch etwas vorhanden ist). Dies gilt bereits bei Potenzen weit unterhalb des Bereichs, der von der Homöopathie als Hochpotenz bezeichnet wird.
Keine Grundlagenforschung zur Homöopathie hat bisher ein Ergebnis geliefert, das diesen Standpunkt widerlegt.
Mehr als 20 Jahre intensiver Forschung in mehreren Einrichtungen, mit dem ausdrücklichen Ziel, die Homöopathie „beweisen“ zu wollen („Bestätigungsforschung“), – ohne dass bisher irgendetwas gefunden wurde, was irgendwie als Ursache für die angeblich durchgreifende Wirksamkeit der Homöopathika angesehen werden könnte? Das sollte man redlicherweise nicht noch positiv darstellen.
[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Jacques_Benveniste [2] Widerlegung in: Memory in water revisited, Nature (1994), Abstract: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/8255290?dopt=Abstract [3] http://www.beweisaufnahme-homoeopathie.de/?p=2093 [4] http://www.beweisaufnahme-homoeopathie.de/?p=2131 [5] Zu Verschüttelung / Potenzierung ausführlich in der Homöopedia: http://www.homöopedia.eu/index.php/Artikel:Schütteln
Ein detaillierter Artikel zu der hier besprochenen These des HRI ist auf dem Blog „Beweisaufnahme in Sachen Homöopathie“ von Dr. Norbert Aust erschienen. Der hier erscheinende Beitrag ist eine leicht gekürzte Fassung des korrespondierenden Artikels auf der Webseite des INH.
Bisher erschienen bei „Susannchen braucht keine Globuli“ in der Serie „Zur Kritik an der Homöopathiekritk“:
Teil I – Wissenschaftliche Nachweise
Teil II – „Positive Studien fehlen“
Teil III – „Wissenschaftler sagen, Homöopathie ist nicht möglich“
Bildnachweise:
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