Schüßlerschnupfenheusalz … oder so. Onkel Michael klärt auf!
Liebe Leserinnen und Leser,
die Heuschnupfensaison beginnt. Es ist nicht zu vermeiden. Prompt erscheinen dann wieder einmal die netten Angebote, mit „sanften und natürlichen“ (seufz…) Mittelchen – eben nichts Sinnvolles gegen die triefende Nase und die tränenden Augen zu unternehmen.
Susannchens und Max‘ Freund Onkel Michael ist schon über die erste Werbung gestolpert: Heuschnupfen mit Schüßler-Salzen bekämpfen! Auf seinem Blog teilt er uns mit, was er davon hält – wir dürfen seinen Beitrag hier wiedergeben. Vielen Dank!
Schüßlers Salze und der Heuschnupfen – Keine gute Kombination
So, jetzt kommt er doch, der Frühling. Kurz vor Ostern wird es ja auch mal Zeit, oder? Alles grünt und blüht. Schön nicht? Aber nicht für alle von uns. Denn mit dem Frühling lauert sie auch schon hinter jeder Ecke – die Allergiesaison.
Ja, der Heuschnupfen steht schon in den Startlöchern. Na – glatt untertrieben! Seit Februar sind wir mitten drin, denn da haben Hasel und Erle ihre Hauptblüte und pusten ihre fiesen kleinen Pollen in die Luft und ärgern die Allergiker.
Das Problem ist nämlich, dass bei manchen Menschen (wie bei mir beispielsweise) die kleinen Abwehrzellen, die wir in uns tragen, etwas verwirrt sind und einige Pollen, die wir alle einatmen oder die an die Augen geraten, als Krankheitserreger definieren und diese dann bekämpfen, wie beispielsweise Viren oder Bakterien. Das Ergebnis sind dann Augentränen, Augenjucken, Augenschwellung, Niesreiz, Fließschnupfen, eine verstopfte Nase, Husten, Atemnot, eine Beeinträchtigung des Allgemeinzustandes, Kopfschmerzen, Schlafstörungen, Fieber oder Abgeschlagenheit. Wobei die Ausprägung natürlich bei jedem Menschen verschieden ist.
Was macht man nun dagegen? Zuerst einen Allergietest, dann weiß man, welche Pollen als Allergene fungieren. Danach kann man eine Hyposensibilisierung absolvieren. Dabei werden in der allergiefreien Zeit, also meist im Winter, dem Körper die Allergene entweder per Tropfen oder per Spritze nach und nach zugeführt und das Immunsystem kann sich langsam daran gewöhnen.
Bei akuten Beschwerden während der Allergiesaison kann man auf die verschiedenen Antihistaminika zurückgreifen, die die Ausschüttung von Histamin – die eigentliche allergische Reaktion, die so unangenehme Wirkungen hat – unterdrücken. Die bekanntesten sind wohl die frei verkäuflichen Wirkstoffe Cetirizin und Loratadin sowie das rezeptpflichtige Fexofenadin. Dann gibt es noch Augentropfen und Nasensprays mit Cromoglicinsäure, Levocabastin oder Azelastin. Alles gut bewährt und man kommt damit gut durch den Sommer. Die modernen Mittel haben auch nicht mehr den fiesen Nebeneffekt, dass das Müdigkeitszentrum im Gehirn aktiviert wird.
Soweit so gut. Hier könnte dieser Artikel eigentlich enden, oder? Wir haben ein Problem und eine hervorragende Lösung. Wären da nicht unsere Freunde aus der „Alternativmedizin“. Die kommen hier natürlich auch angaloppiert und werfen mit ihren Wundermittelchen um sich.
Gerade las ich nämlich einen Artikel, der Schüßler-Salze bei Heuschnupfen propagiert. Noch dazu geschrieben von einer Biologin. Es ist so furchtbar…
Nun denn, empfohlen wird das Schüßler-Salz Nr. 8 als Hauptmittel gegen Heuschnupfen: Natrium chloratum in der D6-Potenz. Hört sich alles ziemlich wissenschaftlich an, oder? Soll ich euch was verraten? Kommt mal näher, ja, so, ganz nahe ran, damit es kein anderer hört, ist nämlich ein Geheimnis! Also, wisst ihr was dieses Natrium chloratum ist? Ich verrate es euch: Kochsalz. In der Verdünnung D6. Ein halbes Gramm Wirkstoff auf 100 Tonnen Zuckerkugeln. Echt. Wirklich. Im Ernst. Ohne Blödsinn.
Wie kriegt man das halbe Gramm denn bloß auf die 100 Tonnen Zuckerkugeln? Also, dieses Kochsalz, wird erst in Wasser gelöst, dann wieder destilliert und das Salz, das dann übrig bleibt, wird wieder in Wasser aufgelöst und danach im Verhältnis 1:1.000.000 verdünnt. Dann wird diese Lösung mit so einem Feinsprüher (wie bei Pflanzen) auf die Streuzuckerkügelchen (aka Globuli) gesprüht. Und das soll dann helfen. Ja neeeee… Is klar… Dazu gibt es noch die sog. „Heiße 8“, da werden die Globuli in heißem Wasser aufgelöst und getrunken. Um es deutlich zu sagen: Wenn ihr euer Spaghetti-Wasser trinkt, ist mehr „Natrium chloratum“ drin als in der „Heißen 8“. Vieeeeeel mehr …
Püh, wird jetzt der eine oder andere sagen oder vielleicht sogar „PÜH! Wenn ich normalen Schnupfen habe, dann hab ich doch auch mein Meersalznasenspray und das hilft ganz toll.“ Und dann erkläre ich, dass man das überhaupt nicht vergleichen kann. Im Meersalznasenspray ist ja Meersalz drin, das riecht und schmeckt man schließlich, wenn man mal dran leckt. Aber für die Schüßler-Salzen wird halt einfach eine Salzlösung in der Verdünnung 1:1.000.000 verwendet, da ist nichts drin, was auch nur ansatzweise helfen könnte.
Wilhelm Schüßler, der Erfinder der Schüßler-Salze, war ein Homöopath, der im 19. Jahrhundert in Oldenburg praktizierte und unter äußerst dubiosen Umständen den Titel Dr. med. erhielt. Er erfand (nicht entdeckte!) ein System von ursprünglich zwölf verschiedenen Salzen. Diese Salze sollten die Grundbausteine des menschlichen Körpers sein. Schüßler ging davon aus, dass jede Krankheit durch einen Mangel dieser Salze in den Zellen ausgelöst wird. Obschon seine Mittel bis zur völligen pharmakologischen Unkenntlichkeit verdünnt wurden, war Schüßler entschieden der Meinung, dass nur seine Mittel Heilwirkungen hätten. Die Tatsache, dass man jedes seiner Salze durch die tägliche Nahrung in höherer Quantität und reinerer Form zu sich nimmt, ignorierte er geflissentlich.
Diese Sichtweise verraten ein eklatantes Fehlverständnis der biochemischen Vorgänge im menschlichen Körper. So stellte er sich vor, dass seine Mittel über eine nicht weiter erläuterte „Energie“ in die Zellen transferiert würden.
Die Schüßler-Salze sind also eine Erfindung, die jeder wissenschaftlichen Grundlage entbehrt. Gerade bei solchen Erkrankungen wie Heuschnupfen oder anderen Allergien, wo es wirklich hervorragende, evidenzbasierte Therapien gibt, die einem das Leben ungemein erleichtern, sollte man die Finger von solchen Experimenten lassen.
Wie so viel pseudomedizinischer Unsinn, liegt auch bei den Schüßler-Salzen der Hase da im Pfeffer, dass sich der „Erfinder“ zur Ursache von Krankheiten und Beschwerden einfach in seiner blühenden Fantasie was ausgedacht hat. Gut, seiner Zeit wusste man es nicht besser. Obwohl es auch damals schon kluge Leute gab, die ziemlich skeptisch gegenüber solchen Sachen wie einer „Verstimmung geistiger Lebenskraft“ (bei der Homöopathie) oder auch eines „Mineralstoffmangels in den Zellen“ waren. Der Punkt ist aber, dass wir es heute besser wissen: Allergien sind eine Überreaktion des Immunsystems auf bestimmte Auslöser und die Folge davon ist eine übermäßige Ausschüttung von Histamin mit den bekannten Folgen. Und diese Überreaktion pfeift nun mal auf Kochsalz D6.
Jeder, der also so was wie Schüßler-Salze Numero acht gegen seinen Heuschnupfen kauft, glaubt den Krankheitsentstehungstheorien von anno dunnemals völlig unkritisch und wirft das gesicherte medizinische Wissen zur Entstehung von Allergien mal eben so in die Tonne. Verstehe ich nicht, absolut nicht. Vor allem deshalb nicht, weil die gleichen Leute dann hergehen und bei der nächsten richtig dicken Erkrankung bei Herrn oder Frau Doktor nach Antibiotika schreien… und bei noch schlimmeren Sachen froh sind, wenn sie im nächsten Krankenhaus ordentlich behandelt werden.
Also, wenn ihr Allergiker seid oder Anzeichen einer Allergie verspürt, dann geht zum Arzt, lasst euch testen und besprecht mit ihm die weitere Therapie, denn dann wird euch geholfen!
Originalveröffentlichung auf „Onkel Michaels Kleine Welt“
(Bei der „Kleinen Welt“ zu stöbern und zu lesen, lohnt sich immer!)
Müssen wir hinzufügen, dass auch die Homöopathie bei Heuschnupfen buchstäblich nichts zu bieten hat? Das steht zwar im Gegensatz zu ständigen Behauptungen der homöopathischen Szene, die häufig gerade Heuschnupfen als angebliches Musterbeispiel homöopathischer „Wirkung“ anpreist – dies jedoch völlig zu Unrecht. (Es gibt mehrere Arbeiten des gleichen Autors, die einen Vorteil der Homöopathie bei Heuschnupfen darstellen – jedoch haben alle Autoren systematischer Reviews – auch Homöopathen – diesen Arbeiten keine Evidenz zugebilligt. Das tat nur der Autor selbst, indem er kurzerhand ein systematisches Review zu seinen eigenen Arbeiten (1) verfasst hat).
Und nur so ein Gedanke – die Homöopathie soll doch immer ganz generell das Immunsystem stärken – das wäre aber bei Heuschnupfen doch recht fatal, denn es wird ja gerade deshalb unangenehm, weil das Immunsystem überaktiv ist… Deshalb wirken die Pharmazeutika gegen Heuschnupfen ja auch nicht auf das Immunsystem selbst, sondern haben das Ziel, die ausgeschütteten „Botenstoffe“ zu neutralisieren (sozusagen), um die Überreaktion zu verhindern.
Alles Gute in schwierigen Zeiten, zu denen nun auch noch die Heuschnupfensaison kommt – und immer schön aufpassen beim Niesen jeder Art!
(1) Wiesenauer M, Lüdtke R: “A Meta-Analysis of the Homeopathic treatment of Pollinosis with Galphimia Glauca“, Forschende Komplementärmedizin (1996);3:230-234
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