„Wo sind die Doppelblindstudien zur Wirkung von Impfungen?“ – Impfgegnerargument™
Das angebliche Fehlen von randomisierenden Doppelblindstudien zum Impfen wird uns aus der Impfgegnerszene immer wieder entgegengehalten. Wobei häufig auch noch besonders darauf hingewiesen wird, gerade wir Homöopathiekritiker würden ungleiche Maßstäbe anlegen, wenn wir bei der Homöopathie immer doppeltverblindete randomisierte Studien (RCTs) als „Goldstandard“ des Wirkungsnachweises fordern (das tun wir übrigens gar nicht, wir finden da jede weitere Forschung überflüssig) – und das (angeblich) bei Impfungen unter den Tisch kehren würden, denn da gebe es so etwas gar nicht. Es gibt in der Szene sehr „populäre“ Impfgegnerseiten, die dieses „Argument“ bis zum Geht-nicht-mehr breittreten und ausschlachten; wir wollen sie hier allerdings aus nachvollziehbaren Gründen nicht auch noch verlinken. Wir finden es aber hoch an der Zeit, hierzu einmal Stellung zu nehmen.
Was ist davon zu halten?
Nun, Wissenschaft hat für jede Problemstellung die Aufgabe, angemessene Mittel und Methoden zu entwickeln. Deshalb klären wir gleich einmal die Frage: Sind doppeltverblindete randomisierte Anwendungsstudien von vornherein das richtige und angemessene Mittel, um Nachweise für die Wirksamkeit von Impfungen zu erbringen? Und wenn ja, unter welchen Bedingungen – und unter welchen nicht?
Halten wir uns erst einmal vor Augen, welches Bild die Impfgegner zu zeichnen versuchen. Man müsste nach deren Vorstellung also wohl eine Gruppe von Probanden, eine „Kohorte“, wie man das nennt, mit einem wirksamen Mittel impfen und eine Vergleichsgruppe mit einem Placebo versorgen. Und dann müsste man, über einen langen Zeitraum, Jahrzehnte, beobachten und registrieren, wer an der impfpräventablen Krankheit wirklich erkrankt und wer nicht. Und nach Jahrzehnten zählt man dann die Krankheits- und die Sterbefälle während der „Studiendauer“. Alternativ könnte man nach einer gewissen Zeit offenbar nach Ansicht der Impfskeptiker testweise die Kinder beider Gruppen mit Masernviren infizieren, um den Vorgang zu beschleunigen. Und den Eltern der Kinder, die erkranken, sagt man dann, Pech gehabt, falsche Gruppe, aber vielen Dank für die Teilnahme?
Dass man so etwas ernsthaft bei potenziell epidemischen schweren Erkrankungen im Kindesalter nicht in Erwägung ziehen könnte, dürfte einsichtig sein. Aber genau darauf wollen die Impfgegner hinaus. Es geht schlicht darum, ihr „Publikum“ mit der Imagination einer solchen Vorstellung zu verunsichern. Eltern fragen sich dann natürlich, wer denn um Himmels Willen sein Kind als Proband freiwillig für so etwas hergeben würde!?! Und ziehen daraus den – gewollten – Umkehrschluss, einen Wirkungsnachweis könne es folglich nicht geben … und schon ist der Samen der „Impfskepsis“ gelegt. Wir hoffen, es wird deutlich, was für ein Zynismus dahintersteckt, wenn Impfgegner die Frage nach „Doppelblindstudien zum Nachweis der Wirksamkeit von Impfungen“ stellen. Sie wollen damit nur einen suggestiven Effekt erreichen – was ihnen leider viel zu häufig gelingt. Oft genug dürfte das auch ein Manöver zur Aufrechterhaltung der eigenen irrigen Auffassung sein.
Aber die Impfgegner irren auch ganz grundsätzlich: Selbstverständlich gibt es Studien, auch Blindstudien, zur Wirksamkeit von Impfstoffen. Nur sind die eben nicht so „platt“, wie in dem eben gezeichneten Bild. Die Methodiken, Fragestellungen und die Beobachtungsdauern müssen sinnvoll definiert sein. Studien, auch Blindstudien, gibt es z.B. bei der Weiterentwicklung von Impfstoffen, wenn es bereits eine bewährte Standardimpfung gibt oder auch bei Untersuchungen wie bei der BCG-Impfung gegen Tuberkulose, wo man dem Phänomen auf der Spur ist, weshalb dieser Impfstoff in unterschiedlichen Regionen der Welt unterschiedlich wirkt und wie man darauf aufbauend einen besseren entwickeln kann. Es gibt z.B. eine Blindstudie, die deutlich das Versagen (in der Praxis, trotz Immunantwort) eines experimentellen Impfstoffs für TBC gezeigt hat – und damit der Forschung weiterhalf. Über den Blindtest von Gardasil 9, dem HPV-Impfstoff, haben wir schon selbst berichtet, über die Story, dass sich in der Verumgruppe so ein großer Erfolg einstellte, dass man die Studie schnell zu Ende brachte, um der Placebogruppe auch schnell das richtige Medikament geben zu können.
Ein interessantes Beispiel ist zudem eine Blindstudie zum Impfen zur Frage, ob sich das Herpes-Zoster-Risiko im Alter nach Windpocken in der Vorgeschichte durch eine spezielle Zusatzimpfung verringern lässt. Mit vollem Einverständnis der Probanden und unter strengen Auflagen; die Beobachtungsdauer wurde auf drei Jahre begrenzt. Die fachmedizinische Konstellation ist zudem hier sehr speziell. [2]
Ergänzung dazu, 10.03.2019: Inzwischen sind die Studien zu diesem Thema erfolgreich abgeschlossen und die Impfung gegen Herpes zoster (Gürtelrose) wird zukünftig für alle Personen ab einem Alter von 60 Jahren sowie für Personen mit einer erhöhten gesundheitlichen Gefährdung ab einem Alter von 50 Jahren Regelleistung aller gesetzlichen Krankenkassen. Eine große Hilfe für Menschen, die von einer Zosterinfektion im höheren Alter bedroht sind. Was für ein Erfolg! Von wegen, keine Studien…
Man muss Fragestellungen in der Wissenschaft immer so gut wie möglich und so vertretbar wie möglich zu beantworten versuchen. Doppelblind-Anwendungsstudien sind der Goldstandard zum Test von neuen Medikamenten gegen bisherige Standardtherapien, das ist die Regel. Auch diese müssen von Fall zu Fall von Ethikkommissionen genehmigt werden, es gibt immer wieder Grenzfälle, wo ethische Gründe gegen eine verblindete Anwendungsstudie sprechen – und da wird sie nicht durchgeführt, sondern man sucht nach anderen Nachweismöglichkeiten. Man wählt immer den höchstmöglichen ethisch vertretbaren Standard. Dazu gehört auch, dass man sich die Frage vorlegt, ob der vermutete Erkenntnisgewinn überhaupt Studien mit menschlichen Probanden rechtfertigt (das sollten sich einmal die Homöopathen überlegen, die unentwegt Vergleichsstudien an menschlichen Patienten durchführen, ohne sich darum zu scheren, dass seit 200 Jahren nichts dabei herausgekommen ist.)
Auch bei der modernen Impfstoffherstellung werden durchaus Blindversuche mit Testgruppen durchgeführt. Nur darf man sich das eben nicht so vorstellen, dass in der Placebogruppe auf das Auftreten der Krankheit „gewartet“ wird. Bei großen Flächenstudien, die Regionen, in denen ein Impfstoff bereits eingesetzt wird, mit der Krankheitsinzidenz (der Häufigkeit des Auftretens) von solchen Regionen vergleichen, in denen es die Impfung noch nicht gibt, sind im Grunde auch vergleichende „Halbblind“-Studien.
Man testet die Wirkung einer Impfung bei der Entwicklung zunächst dadurch, ob der Impfstoff die erwartete Immunantwort auslöst, was durch spezielle (Blutserum-)Untersuchungen getestet wird. Tritt die spezifische Immunantwort mit ausreichender Stärke und ohne eine nennenswerte Zahl von Non-Respondern („Impfversagern“) auf, ist damit immunbiologisch ein Wirksamkeitsnachweis zunächst einmal gesichert. Weitere Studien in diesem Zusammenhang betreffen dann das Auftreten von Nebenwirkungen und Unverträglichkeiten, zudem wird nach Marktfreigabe eines Impfstoffes sehr, sehr aufmerksam beobachtet, wie sich der Impfstoff im „freien Feld“ bewährt. All das spielt sich nach strengen Regeln der Weltgesundheitsorganisation ab. [1]
Alles klar?
Ihr Susannchen-Team
PS Wann haben Sie zuletzt die Impfpässe Ihrer Familie beim Hausarzt checken lassen? Und wir wissen sowieso:
[1] http://www.who.int/biologicals/Clinical_guidelines_27_January_2016.pdf
[2] https://www.aerztezeitung.de/medizin/krankheiten/infektionskrankheiten/herpes/article/387087/impfstoffe-varizellen-koennten-kuenftig-zoster-praevalenz-alten-menschen-eindaemmen.htmll
28.03.2018: Das Teilthema, dass es sehr wohl Blindstudien zu Impfungen gibt, wurde ergänzt. Danke an Johannes Trück für seine fachlichen Hinweise!
Bildnachweise: memegenerator.co.uk / eigenes Meme
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