Akupunktur – die Story (I)
Akupunktur – was ist davon zu halten?
Akupunktur, der Traditionellen Chinesischen Medizin zugerechnet, ist wohl die bekannteste Heilmethode aus Fernost. Ihr wird auch im medizinischen Betrieb der westlichen Industriestaaten vielfach eine ähnliche Glaubwürdigkeit und „soziale Anerkennung“ zuteil wie der Homöopathie.
Viele Ärzte und Heilpraktiker bieten Akupunktur an, für etliche Krankheitsbilder, vorrangig für Schmerzbehandlungen und zudem auch für Dinge wie Allergien oder Suchtentwöhnung. Und ja, der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) für die Zulassung von Mitteln und Methoden hat Akupunktur -allerdings nur für einen sehr begrenzten Anwendungsbereich und unter vielen Vorbehalten- zugelassen. Also bitte!
Schauen wir uns die Sache trotzdem einmal näher an, auch hier gibt es eine „Story“, die es sich zu erzählen lohnt. In diesem Teil soll es zunächst um Grundsätzliches und auch Historisches gehen, in einem zweiten Teil um das heutige wissenschaftliche Urteil über die Akupunktur.
Alt ist – eben alt.
Akupunktur ist unbestritten alt, uralt. Hat das einen eigenen Wert? Nun, alt ist zunächst einmal nichts weiter als – alt. Das mag trivial klingen, aber man sollte auf das schlichte Argument der altersbedingten Ehrwürdigkeit keinesfalls hereinfallen. Bedenken Sie einmal Folgendes: Alt sind sehr, sehr viele Methoden. Wie kommt es, dass ausgerechnet solche, die uns heute als gruselig und unappetitlich erscheinen würden (und davon gab es eine Menge, vor allem in der asiatischen Tradition), sang- und klanglos verschwunden sind und ausgerechnet die Methoden, die unserem heutigen Empfinden und unserer Akzeptanz entsprechen oder sogar entgegenkommen (Stichwort Wellness), genau die sein sollen, denen man hinsichtlich ihrer Wirksamkeit vertrauen soll – warum? Ist das nicht eine offensichtlich willkürliche „Auswahl“, die nicht nach medizinischen Gesichtspunkten zustande gekommen ist, sondern eher ein kulturell begründetes Phänomen darstellt? Denken Sie darüber einmal nach. Außerdem spricht gegen Alter als Argument – und das trifft für die Akupunktur in besonderem Maße zu –, dass der Ursprung dieser Lehren nicht mehr wirklich feststellbar ist. Klar, dass das im Laufe der Jahrhunderte zu einem Wust völlig widersprüchlicher Mittel und Methoden geführt hat und deshalb heute von einer „Überlieferung“ eigentlich gar keine Rede sein kann, wie wir gleich sehen werden.
Eklektizismus – der Setzkasten der Beliebigkeit
Die heutige Akupunktur ist ein „eklektisches“, also aus unterschiedlichen Versatzstücken für den westlichen „Bedarf“ zusammengebasteltes System. Ihre Ursprünge sind bis vor den Beginn unserer Zeitrechnung zurückzuverfolgen. Praktiziert wurde sie von Heilern, die ihre Kenntnisse innerhalb von Familienverbünden weitergaben –und die schon vor zweitausend Jahren begannen, ihre jeweils eigenen Lehren zu pflegen. Da kann man sich die heillose Zersplitterung der Lehre gut vorstellen.
Im Jahre 1929 erschien das Buch „Die Chinesische Medizin zu Anfang des XX. Jahrhunderts“ von F. Hübotter –in dem so viele (längst nicht alle) unterschiedliche Quellen, Varianten und Deutungen der Akupunktur gesammelt sind, dass, wie O. Prokop [1] anmerkt, „die modernen Akupunkturärzte darin genügend Hinweise finden, welche ihnen Entschuldigungen beim Versagen der Nadeltherapie liefern“. In der Tat, Vielfalt in Form von Beliebigkeit erklärt und entschuldigt (fast) alles, ein Prinzip in der Pseudomedizin. Und das soll als wirksame Methode heutiger Medizin durchgehen?
Und hätte das nicht schon genügt, war mit dem (erneuten) Aufkommen der Akupunktur im Westen im 20. Jahrhundert nicht etwa eine Klärung der Grundlagen, sondern im Gegenteil ein weiteres Ausufern der Varianten verbunden. Wussten Sie beispielsweise, dass die heute verbreitetste Form der Ohrakupunktur, die sogenannte Aurikulotherapie, erst im 20. Jahrhundert in Europa „erfunden“ [2] und mit großem Erfolg nach China „exportiert“ wurde, wo man heute in Apotheken Gummiohren mit eingezeichneten Akupunkturpunkten nach dieser Methode kaufen kann? Nogier, der diese „Entdeckung“ für sich in Anspruch nimmt, begründet die Idee der Ohrakupunktur damit, dass er in der Form des Ohres einen kopfstehenden menschlichen Embryo erkennt, von dem er die organwirksamen Punkte nur abzulesen braucht. Alte fernöstliche Weisheit… so, so.
Wussten Sie außerdem, dass die berühmten „Meridiane“, die angeblich auf der Körperoberfläche verlaufen, ebenso wie die darauf aufzusuchenden „spezifischen Akupunkturpunkte“ nicht nur niemals nachgewiesen wurden (trotz umfangreicher Forschung), sondern dass es überhaupt keine verbindlichen Festlegungen für diese gibt? Wir haben schon so viele unterschiedliche „Meridiankarten“ gesehen, dass man daraus eigentlich nur schließen kann, der ganze Körper müsse lückenlos mit Meridianen und Akupunkturpunkten bedeckt sein…
Den denkbar größten Gegensatz liefern auf der einen Seite „traditionelle“ chinesische Meridianskizzen, die meist gänzlich unregelmäßige, physiologisch nicht deutbare Verläufe zeigen und andererseits heutige Ideen, die gar die Meridianverteilung als „regelmäßiges Netz von Koordinaten, entsprechend den Linien radiästhetischer Felder auf der Erdkugel“ verstehen wollen.
Dazu sollte man außerdem wissen, dass der Begriff der „Meridiane“ gar nicht aus dem antiken China, sondern aus dem Frankreich des 20. Jahrhunderts stammt – wie sehr vieles dessen, was heute hier bei uns als „Akupunktur“ angesehen wird. Und zwar aus den Schriften („L’Acopuncture Chinoise“) des Hochstaplers Soulié de Mourant, der Ende der 1930er Jahre der „westlichen Akupunktur“ den erneuten „Schubs“ gegeben hat, der sie bis heute so populär erscheinen lässt. Es lohnt sich sehr, diesen Artikel aus der Ärztezeitung, der auch international veröffentlicht wurde, dazu einmal anzuschauen.
Anthropologen und Medizinhistoriker haben den Ursprung des „Netzwerkes“ auf dem menschlichen Körper aufgedeckt – und dabei auch bemerkt, dass die Vorstellung eines „Netzwerks“ im alten China von den Vorstellungen, die im Nahostraum und dem frühen Europa (vor allem Griechenland) dazu herrschten, durchaus gar so nicht weit entfernt sind. Der Ursprung ist eine „magische“ Projektion astronomischer Beobachtungen auf irdische, menschliche Proportionen und die Verbindung dessen mit dem Blutkreislauf – das berühmte „Wie oben, so unten“ des Hermes Trismegistos, des Ursprungs der esoterischen Lehren. Wer dazu mehr erfahren will, dem sei dieser englischsprachige Artikel dazu empfohlen.
Selbst die Nadelungstechnik verfügt über gänzlich unterschiedliche „Lehrmeinungen“. Einigermaßen sicher ist, dass die ursprüngliche traditionelle Akupunktur nur mit minimalen Einstichen geringer Tiefe arbeitete. Es gab und gibt aber Akupunkteure, die mit Nadeln von 10, gar 20 cm Länge arbeiten, die auch durchaus tief eingestochen werden, was dokumentierte Todesfälle zur Folge hatte. Auch die „mitteltiefe“ Akupunktur reicht beim Treffen einer geeigneten Stelle schnell für einen Lungenkollaps (Pneumothorax), der alles andere als erfreulich ist. Mit dem Prädikat „harmlos“ sollte man also bei der Akupunktur vorsichtig sein. Das Infektionsrisiko ist auch nur unter strengen hygienischen Praxisbedingungen akzeptabel gering.
Und was soll diese Nadelung nun bewirken?
Naja, selbst darüber besteht keine Einigkeit. Die traditionelle Lehre geht von der Regulierung einer ominösen Lebenskraft aus, die auch in anderen Zusammenhängen als der Medizin in der chinesischen Kultur verwurzelt ist. Heute bezeichnet man diese Lebenskraft auf „neudeutsch“ als „Qi“, früher nannte man sie in Europa verwissenschaftlicht „Theorie des Pneumas“. Die Nadelung sollte eine Regulierung des Gleichgewichts im Fluss dieses Qi bewirken, das sich im Körper stauen, verlieren und falsch ausrichten konnte. Der „Normalzustand“, der durch die Akupunktur wiederherzustellen sei, hatte dabei Gesetzmäßigkeiten wie Himmelsrichtungen, Jahreszeitenwechsel oder dem Yin-Yang-Prinzip (der Ausgeglichenheit zwischen Gegensätzen) zu entsprechen. Primitive Vorstellungen in der alten Volksmedizin sprachen durchaus auch noch vom „Ablassen“ eines „bösen Geistes“ an der schmerzenden Einstichstelle. Man erkennt auch hier wieder den Gedanken der „einen“ Ursache für Krankheit, das Prinzip vieler pseudomedizinischer Methoden, unvereinbar mit dem multikausalen, viele Krankheitsursachen kennenden Ansatz der modernen Medizin.
Verwissenschaftlichung?
Einen so ohne Umschweife esoterischen Ansatz wollten die westlichen Anwender natürlich so nicht stehen lassen. Die Aus- und Umdeutungen, natürlich mit dem Ziel einer „Verwissenschaftlichung“, setzten früh ein und sind bis heute im Gange. Dabei war man zu Zeiten des späten „Vitalismus“ (Hahnemann!) noch bereit, das Qi in die „Lebenskraftidee“ umzudeuten (Berlioz 1816: Dem Nerven wird ein Elementarstoff zugeführt, welchen der Schmerz demselben entzogen hat; Cloquet 1840: Entzug von Nervenfluidum, das die Nerven durchrinnt und die schmerzhaften Organe belästigt – man beachte auch in diesen zwei „Erklärungen“ die Widersprüchlichkeit). Es scheint, dass zu dieser Zeit der damalige chinesische Kaiser derjenige mit dem richtigen Durchblick war: Er verfügte nämlich 1822, Akupunktur sei ein Hemmschuh für die Ausbreitung moderner Medizin und sei aus dem Lehrangebot der Kaiserlichen Medizinischen Akademie zu entfernen… Vielleicht ist noch erwähnenswert, dass man zu Zeiten der „heroischen Medizin“ die Sache mit der Akupunktur im aufgeklärten Westen durchaus drastisch in Angriff nahm und die „Durchbohrung“ kompletter Körperteile eine durchaus übliche Methode war.
Bis heute wird -eine deutliche Parallele zur Homöopathie- nach wissenschaftlichen „Beweisen“ für das Wirkprinzip der Akupunktur gesucht. Darauf kommen wir im zweiten Teil unserer Betrachtung noch zu sprechen. Aber -wiederum wie bei der Homöopathie- sollten wir erst einmal die Frage stellen, ob die Akupunktur denn überhaupt wirkt und wenn ja, ob es naheliegende Erklärungen für eine solche Wirkung gibt.
Von Wirkungen, Suggestion und Hypnotik
Eine so indifferente, jeder schlüssigen Grunderklärung entbehrende Methode steht natürlich in starkem Verdacht, zwar eine Wirkung auslösen zu können, aber eben nicht so wie von ihren Verfechtern behauptet. Eben nicht „spezifisch“, also allein auf die Methode und ihre Annahmen selbst zurückzuführen. Sie ahnen es vielleicht schon: Die Kontexteffekte, darunter der Placeboeffekt, kommen ins Spiel. In der Tat hat die Akupunktur inzwischen wissenschaftlich die größte Bedeutung für die Placeboforschung, der sie viele Aufschlüsse verschafft. Es kommt aber noch ein sehr wichtiger Aspekt dazu, nämlich der der suggestiven Beeinflussung.
Lange Zeit glaubten etliche ärztliche Verfechter der Akupunktur im Westen, man könne Narkosen jeglicher Art durch Akupunktur ersetzen. Befeuert wurde dies in neuerer Zeit von den Berichten westlicher Ärzte aus den 1970er Jahren, die im Nachgang zur berühmten Chinareise des damaligen US-Präsidenten Nixon in Scharen nach China reisten, um die dortigen Wunder der Akupunktur live und vor Ort zu erleben. Der Leibarzt des Präsidenten, Dr. Tkach, hatte nämlich nach seiner Rückkehr aus China entsprechende Wunderberichte (1972) verbreitet mit dem Zusatz, trotz der Widersprüche zur medizinischen Logik glaube er an die Methode – und war auf Interesse gestoßen. Ein solches Interesse trieb auch den vormaligen Bundespräsidenten Walter Scheel und seine Ehefrau Mildred, von Beruf Röntgenfachärztin, auf Erkundungstour – mit der nachfolgenden Empfehlung, man möge sich in der westlichen Medizin dieser Dinge doch einmal annehmen. Wobei wir einmal voraussetzen dürfen, dass dem Ehepaar Scheel nicht bekannt war, dass Narkosen durch Akupunktur bereits um 1830 auf Weisung des preußischen „Ministeriums der Geistlichen-, Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten“ an der Berliner Charité erprobt wurden – und wegen nicht hinnehmbarer Versagensquoten auch ein schnelles Ende fanden (nach Arnold 1974). Und ganz offensichtlich hat sich die Methode in den Operationssälen der Welt auch bislang nicht als Standard oder wenigstens als Außenseitermethode durchgesetzt – aus Gründen. In den Zeiten von Dr. Tkach und des Ehepaares Scheel fiel die erneuerte Botschaft auf fruchtbaren Boden, auch auf den des damals blühenden Okkulitismus (Stichwort Uri Geller) und löste einen gewissen Hype aus, der auch in die wissenschaftliche Medizin hineinwirkte.
Dazu könnte man eine eigene Story schreiben. Nur so viel in diesem Zusammenhang:
Sie werden vielleicht auch schon mal Bilder oder gar ein Video gesehen haben, bei denen freundlich lächelnde hellwache Patienten mit geöffneter Körperhöhle operiert wurden und angeblich die Akupunktur Wunderdinge bei der Anästhesie bewirkt habe. Nun ist viel möglich, beispielsweise ist das viszerale Organgewebe selbst schmerzunempfindlich und theoretisch ist eine Operation im Bauchraum unter lokaler Betäubung des Bauchfells bei vorsichtigem Vorgehen und ohne ruckartige Bewegungen durchaus möglich (ob es wünschenswert ist, das darf man sicher in Frage stellen). Auch Schädeloperationen werden ja bekanntlich nur unter örtlicher Betäubung der Stelle durchgeführt, an der die Schädelplatte eröffnet wird – das Gehirn ist schmerzunempfindlich.
Natürlich nutzen die Demonstrationen der Akupunktur-Wunder das auch aus. Schon sehr früh fiel aber weiteren Beobachtern, die aus den USA angereist waren, Verschiedenes auf. So stellten sie sich beispielsweise die Frage, weshalb nirgendwo auf dem Land oder in Kleinstadtkrankenhäusern diese doch so einfache und medikamentensparende Methode eingesetzt wurde. Die Fälle, die sie mehr oder weniger begutachten durften, hatten immer einen Vorführcharakter, spielten sich in Großkliniken ab und waren auch dort offenbar keineswegs der übliche Standard. Letztlich stellte sich wiederholt heraus, dass natürlich gewisse (hypnotische, auch im Westen längst bekannte) Effekte -wie oben beschrieben- wirkten, aber ein guter Teil Täuschung bei der Sache dabei war. (Bericht von Prof. Dr. John J. Bonica, Chief Department for Anaesthaesiology, University of Washington, 1973, nach Prokop aaO.) Auch im deutschen Fernsehen wurde einmal ein Fall gezeigt, bei dem das vollständige Video offenbarte, wie der angeblich nur mit Akupunktur behandelten Patientin eine anästhesierende Dauerinfusion zugeführt wurde. Arnold (1972) geht in seiner Dissertation auf solche und auch historische Fälle ein, Prokop zieht daraus das Fazit, die Medienberichte seien „ebenso suggestiv gewesen wie die Akupunktur selbst“.
Akupunktur, Mesmerismus und Hahnemann
Das, was die Akupunktur insbesondere im Schmerzbereich (Analgesie) fraglos an Wirkungen erzielen kann, ist nicht neu. Gleiches wurde Ende des 18. Jahrhunderts in ganz Europa auf breiter Front mit dem „Mesmerismus“ erzielt, der Methode des Franz Anton Mesmer, die auf angeblicher Wirkung von „Magnetismus“ beruhte. [3] Hahnemann betrachtete gar „Magnetismus“ als homöopathisch einsetzbares Mittel [4] und zudem auch noch als Beleg gegen die „Atomisten“, die bezweifelten, dass seine Hochpotenzen mangels stofflichen Inhaltes eine Wirkung ausüben könnten. Obwohl dies in seinem Organon steht, verschweigen seine Anhänger das in aller Regel, denn damit wäre ihre Suche nach physikalisch-chemischen Wirkungsgrundlagen für Hochpotenzen als klarer Widerspruch zu Hahnemann erkennbar – im Grunde liefert Hahnemann an dieser Stelle einen schlagenden Beweis für Placebo.
Natürlich wirkte bei Mesmer kein „Magnetismus“, ebensowenig wie bei Hahnemann die „geistige Arzneikraft“. Mesmer gilt heute als der erste praktische Anwender der Suggestion, der psychischen Fremd- und Selbstbeeinflussung, die große Kräfte freisetzen kann. Mesmers „magnetische Sitzungen“ waren ein Musterbeispiel für suggestive Situationen, die sich aus dem Geheimnisvollen, einer starken Heilerpersönlichkeit, höchsten Erwartungen an den berühmten Mann und einem mehr oder weniger eintretenden hypnotischen bzw. Trancezustand ergaben. Dass er größte Erfolge bei psychosomatischen Affekten erzielte, lag auf der Hand. Die moderne Psychotherapie hat viel an Erkenntnissen aus den umfangreichen Berichten über Mesmers Tätigkeit gezogen. Übrigens gab es auch eine „mesmerische Anästhesie“, mit der z.B . ein Dr. Esdaile im schottischen Perth 300 schmerzlose Operationen durchgeführt haben will (1853). Die Parallelen sind offensichtlich. Außer Frage steht, dass bei allen medizinischen Behandlungen mehr oder weniger hypnotische oder suggestive Aspekte eine mehr oder weniger starke Wirkung auf den Patienten ausüben. Das weiß jeder gute Arzt und erst recht jeder ausgebildete Psychosomatiker, die Psychotherapie macht sich das in ihren Methoden direkt zunutzte, nur die Pseudomediziner zeichnen sich stets dadurch aus, dass sie solche Effekte ableugnen und auf der „spezifischen“ Wirkung ihrer Methode bestehen.
Bei der Akupunktur, wie sie heute in der ambulanten Praxis ausgeübt wird, geht die Wirkung offensichtlich -jedenfalls bei Schmerzen- insofern über einen reinen Placeboeffekt hinaus, als dass eine stark suggestive Komponente beim Patienten hinzutritt. Das ist -beispielsweise im Vergleich zur Einnahme von Globuli- auch einfach erklärbar. Gerade Schmerzen sind suggestiven Einflüssen gegenüber empfänglich. Hinzu kommt, dass der Arzt genau die Patienten mit eher „unspezifischen“ Schmerzzuständen der Akupunktur zuführen wird, also solche, bei denen mit großer Wahrscheinlichkeit eine psychosomatische Komponente überwiegt. Das „Setting“ einer Akupunktur bedeutet nicht nur Aufwand, es findet ja auch ein massives Ritual statt, das zudem mit Schmerzen beim Einstechen verbunden ist. Und da gibt es bei manchen Therapeuten, je nach „individueller Methode“, schon so einiges auszuhalten. Dieser Aufwand und seine Begleiterscheinungen wirken auf den ansonsten an eine Medikamenteneinnahme, eine Spritze oder eine Bestrahlung gewöhnten Patienten sehr suggestiv. Hieraus lassen sich die scheinbar signifikanten Ergebnisse bei bestimmten Schmerzzuständen (und nur bei diesen) leicht erklären, die den G-BA unter Zurückstellung von Bedenken zu einer Anerkennung der Akupunktur für eben diese eingeschränkten Diagnosen veranlasst haben.
Fazit für heute
Unser Fazit kann also erstmal lauten: Im Kern ist es wie bei der Homöopathie, eine Scheinmethode ohne nachvollziehbare Grundlage „wirkt“ – tut dies aber nur durch Begleiteffekte, die in diesem Fall durch eine stark suggestive Komponente oft deutlich verstärkt werden. Was inzwischen auch als gesichert gilt, ist eine weitaus höhere Empfänglichkeit für solche Kontexteffekte und Suggestionen in den Herkunftsländern von Methoden wie der Akupunktur, wo sie zum soziokulturellen Kontext gehören.
Wie die Akupunktur und die modernen Versuche ihrer Erklärung unter wissenschaftlichen Maßstäbe abschneiden und wie die bei bestimmten Indikationen feststellbaren Effekte zu beurteilen sind, erzählen wir im nächsten Teil dieses Beitrages. Bleiben Sie dabei!
Referenzen:
[1] Prokop / Dotzauer, Die Akupunktur, Fischer, Stuttgart (1979)
[2] Nogier, P., Von der Aurikulotherapie zur Aurikulomedizin. Dtsch. Z. Akup. 1,2 (1978)
[3] „Die Wirkungen des Magnetes sind oft augenblicklich und bestehen entweder im gänzlichen Aufheben gegenwärtiger Schmerzen, oder in einem Zurückdrängen derselben nach anderen Theilen.“ . aus: Encyclopädie der gesamten Medicin, Wigand, Leizig 1844,
[4] „Die Wirkung einer mäßigen Gabe Magnetkraft reicht über 10 Tage.“ – aus: S. Hahnemann, Reine Arzneimittellehre II. Teil, Arnoldi Dresden 1824
Zum Weiterlesen bis zur nächsten Folge:
„Am Anfang war ein Scharlatan“ – Die „Wiedergeburt“ der westlichen Akupunktur im 20. Jahrhundert (Deutsches Ärzteblatt)
Bildnachweise:
Fotolia_109782460_S (1) und 115771332_S (6)
Medizinhistorisches Institut der Humboldt-Universität Berlin (2, 3, 4)
aus: Buchner, E.: Ärzte und Kurpfuscher. Langen, München (1922) (5)
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