Zur Kritik an unserer Homöopathiekritik – I: Wissenschaftliche Nachweise
Liebe Leserinnen und Leser,
heute beginnt eine kleine Reihe von Beiträgen über die Argumentationsmuster, mit denen die Homöopathielobby der Kritik des Informationsnetzwerks Homöopathie und anderer Skeptiker entgegentritt. Diese Beiträge mögen ein wenig komplexer als üblich ausfallen, wir wollen aber wegen ihrer grundsätzlichen Bedeutung nicht darauf verzichten, sie hier vorzustellen. Sie sollen dazu beitragen, dass Sie sich ein besseres Bild von dem scheinbaren ständigen „Hin und Her“ in Sachen Homöopathie machen können.
Ausführlichere Versionen finden Sie jeweils auf der Webseite des Informationsnetzwerks Homöopathie und auf dem Blog „Beweisaufnahme in Sachen Homöopathie“ von Dr. Norbert Aust. Wir würden uns über Ihr Interesse freuen! Sicher werden Sie unsere kritische Haltung zur Homöopathie mit diesen Beiträgen noch besser nachvollziehen können und vielleicht auch für die eigene Argumentation von ihnen profitieren.
Teil I: Wissenschaftliche Nachweise
„Es gibt keinen wissenschaftlichen Nachweis dafür, dass die Homöopathie wirkt“
Diese zentrale Aussage der Homöopathiekritiker wird von der Homöopathielobby entschieden bestritten. Die Homöopathen greifen dabei immer wieder auf eine Reihe wiederkehrender „Argumente“ zurück, die das englische Homeopathy Research Institute (HRI) publiziert hat. Heute geht es um die grundsätzliche Sicht auf wissenschaftliche Nachweise zur Wirksamkeit der Homöopathie.
Was verstehen Homöopathen unter dem „Wirkungsnachweis“?
Wenn die Homöopathen davon sprechen, der Wirkungsnachweis ihrer Methode sei erbracht, meinen sie zwei Dinge (manchmal gleichzeitig): Sie sind zum einen der Ansicht, dies sei durch die „Summe der vielen Einzelerfahrungen“ längst geschehen und zum anderen, dass man diesen Nachweis aus vorliegenden wissenschaftlichen Studien ebenfalls entnehmen könne. Beide Aspekte wollen wir beleuchten.
Was unterscheidet wissenschaftliche Wirkungsnachweise von einer Anhäufung einzelner Erfahrungen?
Wir wissen schon sehr lange (im Grunde schon seit den alten Griechen), dass Einzelerfahrungen, auch beliebig viele, niemals einen Beleg für die Wirksamkeit einer Methode oder eines Mittels erbringen können. Warum nicht? Im Großen und Ganzen gilt:
Die Betrachtung und Beurteilung von Einzelfällen, vor allem durch Betroffene (Therapeut und Patient) ist immer verzerrt. Immer. Sie können sich selbst davon überzeugen: Lassen Sie sich mal ein zwei Jahre zurückliegendes Ereignis von einem Ehepaar erzählen. Beide haben es es gleichzeitig erlebt, trotzdem werden Sie große Unterschiede feststellen. Außerdem werden ja Tag für Tag auch Menschen mit verschiedensten Erkrankungen ohne Homöopathie gesund, das dürfte sogar die überwiegende Mehrzahl sein. Wie also sollen die Einzelfallberichte zur Homöopathie ein Beweis für ihre Wirksamkeit sein?
Was brauchen wir stattdessen?
Wir brauchen Betrachtungen mit ausreichend großen Patienten-Vergleichsgruppen, durch die verzerrende Einflüsse weitgehend ausgeschlossen werden können, und die uns belastbar Aufschluss darüber geben, wie ein Mittel / eine Methode im Vergleich zur bisherigen Standardtherapie oder gegenüber Placebo wirkt. Auf diesem Ansatz beruht praktisch die gesamte moderne Pharmazie.
Was ist ausschlaggebend für einen echten Wirkungsnachweis?
Das untersuchte Mittel muss bei wissenschaftlichen Überprüfungen seine „Überlegenheit“ gegenüber der bisher bewährten Behandlung oder einem Placebo beweisen und dies muss in nachfolgenden Untersuchungen auch reproduzierbar sein. Nur auf der Basis solcher Ergebnisse kann ein Arzt / Therapeut entscheiden, welche Therapie er mit ausreichender Erfolgsaussicht einsetzen kann. Alles andere -Behandlung allein auf der Basis „persönlicher Erfahrungen“ -ist nur eine nie zu Ende kommende Kette von Versuch und Irrtum – am Patienten und im Zweifel auf dessen Kosten.
Es ist große Selbstkritik bei der Beantwortung der Frage angebracht, ob eine medizinische Intervention wirklich ursächlich zur Besserung / Heilung geführt hat. Die Selbsttäuschungsmechanismen dabei sind sehr stark: In vorwissenschaftlicher Zeit galten auch aus heutiger Sicht abstruse Mittel als wirksam (Staub von Kirchenglocken, zerstoßene Heiligenbildchen und manches andere), und fast jeder „Heiler“ hatte so seine eigenen Wunderdinge auf der Karre. Sicher waren nicht alle Leute, die solche Mittel anwandten, Scharlatane wider besseres Wissen – sie waren aber nur deshalb überzeugt, tatsächlich mit ihren Mitteln heilen zu können, weil sie gar nicht auf die Idee kamen, andere Dinge als ihre Mittelchen als Ursache für ihre „Heilungen“ anzusehen. Was aber soll uns heute ein „Erfahrungsschatz“ sagen können, der auf einer solchen Grundlage gesammelt wurde?
Medizin wurde dadurch besser und erfolgreicher, dass man unwirksame Therapien erkannt und ausgesondert hat – nachdem man das mit dem modernen wissenschaftlichen Instrumentarium konnte. Auf sinnvolle und belastbare Wirksamkeitsnachweise zu verzichten und auf einzelne (auch viele einzelne) Erfahrungen zu vertrauen, würde einen Rückschritt in die vorwissenschaftliche Zeit bedeuten, als es mehr oder weniger auf den Zufall ankam, ob der Arzt die richtige Arznei verordnete.
Wie funktioniert ein wissenschaftlicher Wirkungsnachweis mit Studien?
- “Verblindete“ Studien
Eine Wirksamkeitsstudie wird an einer größeren (möglichst großen) Zahl von Patienten durchgeführt, die nach einem Zufallsprinzip in zwei Gruppen aufgeteilt werden, deren eine das zu testende Mittel einnimmt („Verumgruppe“), die andere stattdessen ein Placebo ohne Wirkstoff oder den bislang etablierten Behandlungsstandard („Kontrollgruppe“). Weder die Patienten selbst noch die behandelnden Ärzte noch das Betreuungspersonal wissen, wer zu welcher Gruppe gehört. Äußere Einflüsse, ganz besonders „menschliche“ Einflussgrößen wie beispielsweise unterschiedliche Erwartungshaltungen werden dadurch so weit wie möglich ausgeschlossen. Dieses Studiendesign der placebokontrollierten doppelt verblindeten randomisierten Vergleichsstudie ist (entgegen häufiger Einwände von homöopathischer Seite) durchaus auch für den individualisierten Therapieansatz der Homöopathie möglich; es gibt eine ganze Reihe solcher Studien, auch von Homöopathen selbst.
- Die „Zufallsergebnisse“
Dabei ist zu bedenken, dass sich in jeder Gruppe immer auch Veränderungen (Verbesserungen) ergeben werden, die nicht auf die Mittelgabe ursächlich zurückgehen. Das wissen wir schon deshalb, weil auch die Beobachtung einer unbehandelten Kontrollgruppe mit gleicher Ausgangslage über einen gleichen Zeitraum eine gewisse Anzahl an „Verbesserungen“ aufweisen wird, die dort ja mit Sicherheit nicht durch das getestete Mittel verursacht sind. Dies kann durch die Selbstheilungskräfte des Organismus zustande kommen, durch natürliche (selbstlimitierende) Krankheitsverläufe oder auch den oft zitierten Placeboeffekt (der nur einer der sogenannten Seiteneffekte einer Behandlung ist). Man steht also vor dem Problem, dass sich in jeder Gruppe messbare Ergebnisse zeigen, die nicht dem geprüften Mittel zugerechnet werden dürfen.
Solche „immer auftretenden“ Effekte -der „Zufall“- müssen durch die Anwendung statistischer Verfahren bei der Auswertung „herausgerechnet“ werden. Nur was über die Zufallserwartung hinausgeht, kann von Bedeutung sein. Die medizinische Wissenschaft setzt die „Zufallsschranke“ bei einer Wahrscheinlichkeit von 5 % an. Man muss also davon ausgehen, dass selbst dann, wenn man unwirksame Mittel testet, sich in einer von zwanzig Studien ein positives Ergebnis zeigen wird.
- Was ist das „Ergebnis einer Studie“?
Es leuchtet nach alledem ein, dass damit eine verblindete medizinische Studie die Frage „Wirkt das Mittel?“ nicht mit einem festen Ergebnis im Sinne von „Ja“ oder „Nein“ beantworten kann. Eine erfolgreich durchgeführte Studie ermöglicht „nur“ eine Wahrscheinlichkeitsaussage darüber, ob das Mittel wirksam war. Der Grad der Wahrscheinlichkeit ist für die Bewertung des Ergebnisses ausschlaggebend. Dies entspricht dem heutigen Wissenschaftsverständnis, das nicht vom Erreichen einer „absoluten Wahrheit“ ausgeht, sondern von einer möglichst großen Annäherung an diese durch den Ausschluss von Fehlern und Irrtümern. Es stellt sich deshalb weiter die Frage, wie man das Ergebnis einer Einzelstudie (wie sie oft von Homöopathen angeführt wird) bewerten muss und wie man die Sicherheit der Aussage einer Studie verbessern kann.
- Von der Einzelstudie zum systematischen Review
Eine Einzelstudie für sich liefert nie einen ausreichenden wissenschaftlichen Wirkungsnachweis. Dafür muss sie – vorzugsweise mehrfach- unabhängig von anderen Forscherteams an anderen Patientengruppen wiederholt werden. Dabei werden sich durchaus Unterschiede in den Ergebnissen zeigen, die bewertet werden müssen. Dies geschieht dann wiederum in systematischen Reviews, in denen alle veröffentlichten Arbeiten zu einem bestimmten Krankheitsbild zusammen betrachtet werden und ein Gesamtergebnis entsteht. Dabei müssen aber alle vorliegenden Ergebnisse in die Betrachtung einfließen, nicht nur die positiven. Erst ein solches Review wäre dann bei einer angemessenen Datenbasis ein belastbarer Nachweis. Einzelstudien können einen Hinweis auf eine mögliche Wirksamkeit liefern, aber mehr nicht.
Gleich ob Review oder Einzelstudie – es kann immer nur auf die Wirksamkeit der Homöopathie bei dem jeweils betrachteten Krankheitsbild geschlossen werden. Ein Schluss auf die Homöopathie als ganzes Therapiegebilde ist auf keinen Fall möglich.
Welche Ergebnisse zur Homöopathie liegen vor?
Das Homeopathy Research Institute führt aus, dass es zum Ende 2014 insgesamt 189 randomisierte Vergleichsstudien gegeben hätte, davon 104 Placebo-Vergleichsstudien. Von diesen seien bei 43 positive Ergebnisse aufgetreten, 5 seien negativ gewesen und bei 56 sei ein „unklares Ergebnis“ aufgetreten. Nanu? Was ist das für eine Bewertung? Gewonnen – verloren – unentschieden?
Offenbar halten die Autoren dieses Berichtes die Tatsache, dass man die Wirksamkeit eines homöopathischen Mittels nicht zuverlässig von dem eines Placebos unterscheiden kann („unklares Ergebnis“), keineswegs für ein negatives Resultat, sondern für eine Art „Unentschieden“. Würden Sie als Patienten, die ihr Geld für ein Mittel ausgeben und dabei auf eine Verbesserung ihres Befindens hoffen, das genauso sehen? Eine Studie mit dem Ziel, einen Beleg für die Wirksamkeit der Homöopathie zu finden, muss doch wohl als gescheitert angesehen werden, wenn sie keine Überlegenheit über ein Stück Zucker nachweisen kann!
Es ist also – abgesehen von der grundsätzlichen Irrelevanz einer solchen Aussage – durchaus nicht so, dass die „Mehrheit“ der Studien ein positives Ergebnis erbracht hat.
Auch der Anteil von gut 40 % an erfolgreichen Studien sieht nur auf den ersten Blick beeindruckend aus.
Zunächst ist wegen der immer zu berücksichtigenden Zufallsstreuung von (angenommen) 5 % immer damit zu rechnen, dass es einige „falsch positive“ Studien gibt. Dann gibt es den sogenannten Schubladeneffekt, auch publication bias genannt: Es ist nun einmal so, dass positive Ergebnisse leicht und gerne veröffentlicht werden, negative dagegen eher dazu neigen, für immer in der Schublade zu bleiben. Dazu kommen dann oft noch Schwächen im Studiendesign und/oder in der Studiendurchführung, etwa in der Verblindung der Versuchspersonen oder den angewandten Verfahren zur Auswertung, die die Ergebnisse in eine positive Richtung verfälschen können. All dies treibt, solange es nicht restlos geklärt ist, den Anteil positiver Studien tendenziell nach oben. Werden solche Mängel bei der Vorbereitung systematischer Reviews festgestellt, wird dies in die Bewertung der Ergebnisse einfließen.
Zudem bewegen wir uns immer noch auf der Ebene einzelner Studien, die – wie wir schon gesehen haben – für sich niemals einen belastbaren Wirkungsnachweis erbringen können. Dazu braucht man unabhängige Wiederholungen und systematische Reviews.
Solche Reviews gibt es in der Tat, auch von Vertretern der Homöopathie. Angefangen mit einer Arbeit von Kleijnen et al. aus dem Jahre 1991 bis zuletzt von Mathie et al. in 2019 (Mathie ist selbst Mitarbeiter des HRI) gibt es elf größere solcher Übersichtsarbeiten, die die Homöopathie indikationsübergreifend betrachten und alle zu recht ähnlichen Ergebnissen kommen: Die einzelne Studienlage mag gelegentlich darauf hindeuten, dass es kleine Effekte pro Homöopathie geben könnte, jedoch ist nach dem durchgängigen eigenen Bekunden der Autoren der Reviews die Qualität der vorliegenden Studien so niedrig, dass hieraus keine belastbaren Schlussfolgerungen gezogen werden können. Weder für die Homöopathie generell noch für irgendeine Indikation. Auch die größte bislang veröffentlichte Arbeit, die der Australischen Gesundheitsbehörde NHMRC von 2015, kommt zu diesem Ergebnis , ebenso wie die jüngste Arbeit von Mathie (2019) .
Ein Kuriosum zum Schluss: Das HRI führt ergänzend ins Feld, dass die Quote von 43 Prozent an positiven Studien die gleiche sei, wie sie in Studien zur konventionellen Medizin auftrete. Ja und? Was soll solch ein Vergleich aussagen? Wenn ich meine literarischen Fähigkeiten mit denen von Thomas Mann vergleichen will, ist es sicher nicht hilfreich, festzustellen, ob ich prozentual genauso viele Entwürfe in den Papierkorb befördere wie er. Was soll das über die Qualität und Verwertbarkeit des Restes aussagen? Wir haben ja auch nicht vor, diesen Text hier für einen Literaturpreis einzureichen…
Der Vergleich hinkt aber noch bei einem viel elementareren Punkt. Die Homöopathen vergleichen nämlich Äpfel mit Baked Beans (um das einmal krass auszudrücken). Die Referenz, auf die sie sich beziehen, ist ein Cochrane-Report mit über 1.000 Systematischen Reviews. Dagegen halten die Homöopathen mit einer wesentlich kleineren Zusammenstellung, die zudem nur einige Reviews, dafür eine Vielzahl von Einzelstudien enthält (von denen etliche mal wieder als „unentschieden“ angesehen werden, obwohl sie natürlich als gescheitert gewertet werden müssten). Dass und warum ein solcher „Vergleich“ zu völlig fehlgehenden Schlussfolgerungen führt, beschreibt unsere „Homöopedia“ im Detail.
Ein Ansatz nach dem Motto „Wer hat gewonnen?“ ist absurd. Wenn man dann noch bedenkt, dass man den Bestätigungsfehler bei Studien zur Homöopathie hoch ansetzen muss -denn sie forschen ja nicht ergebnisoffen, sondern suchen nach einem “Beweis“ für ihre Hypothese- müsste das HRI eigentlich viel eher zur Zahl der „negativen“ Studien Stellung nehmen, die ja eigentlich als außergewöhnlich hoch angesehen werden muss.
Schlussfolgerung
Es gibt tatsächlich keine wissenschaftlichen Nachweise dafür, dass Homöopathie wirkt.
Die Zusammenstellung der Argumente gegen die Homöopathiekritik, die die Grundlage dieser Artikelserie darstellt, finden Sie (deutsch) auf der Webseite des Homeopathy Research Institute (HRI).
Die vollständige Version dieses Beitrages (Originalbeitrag) finden Sie auf dem Blog „Beweisaufnahme in Sachen Homöopathie“ von Dr. Norbert Aust, eine etwas ausführlichere Version als die vorstehende auf der Webseite des Informationsnetzwerks Homöopathie.
Aktualisiert nach dem neuesten Stand der systematischen Reviews am 30.08.2021.
Bildnachweis: Fotolia_130625327_XS
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