Emily und die Geistheiler
Wer nichts weiß, muss alles glauben. Das machen sich viele zunutze, die mit angeblichen Wundermethoden daherkommen und den Menschen erzählen, das würde ihnen helfen. Helfen beim Suchen nach dem Sinn des Lebens (der ist das Leben selbst), nach spiritueller Befreiung (also dazu, noch weniger zu wissen und noch mehr zu glauben), oder, was am Schlimmsten ist, Krankheiten heilen zu können.
Viele dieser Methoden lassen sich unter dem Begriff „Geistheilen“ zusammenfassen. Menschen, die so etwas praktizieren, berühren ihre PatientInnen allenfalls bei der Begrüßung. Sie untersuchen auch niemanden. Sie lassen sich allenfalls (manchmal auch nicht) erzählen, worunter er oder sie leidet und praktizieren dann ihre „geistige Heilung“. Manchmal passiert gar nichts, außer dass den Patienten erzählt wird, es passiere gerade was. Nämlich Heilung via „Geist“. Meist aber werden dabei Rituale ausgeführt, wie beispielsweise beim Reiki.
Kann das funktionieren? Man sagt bei Menschen, die trotz körperlicher Schwächen große Leistungen vollbringen, das sei ein „Sieg des Geistes über den Körper“. Hört sich gut an. Aber: Es ist der Sieg des Willens des Menschen als Einheit, der inneren und äußeren Kraft seiner Persönlichkeit. Sicher könnte man diese Kraft auch als „Geist“ bezeichnen, aber die Geistheiler und ihre Anhänger verstehen darunter etwas eigenes, unabhängiges, einen Teil des Menschen, der etwas anderes ist als der Körper. Die Vorstellung, dass Geist und Körper „zwei Dinge“ seien (Leib-Seele-Dualismus), ist uralt, wird aber heute von der Wissenschaft nicht mehr geteilt. Der Mensch ist ein „Ganzes“; eine „Entität“. Dass der „Geist“ von jemand anderem aber den Körper eines Menschen über Suggestion hinaus beeinflussen kann, das ist so oder so Hokuspokus.
Es gab mal einen Prozess, den ein Geistheiler angestrengt hatte, weil ihm die Behörden auf den Zahn fühlen wollte. Immerhin ist ja das „Ausüben der Heilkunde“ nur mit Erlaubnis gestattet. Der ging bis zum Bundesverfassungsgericht und mündete im sogenannten „Geistheilerurteil“. Das besagt so grob, dass der Staat keinen Anlass zu Erlaubnispflichten, Regulierungen oder Beaufsichtigungen dieses Gewerbes habe, da von diesem keine Gefahr ausgehe. Weil ja jedermann wisse, dass er dort keine Leistung zu erwarten habe, die mit der von „Ärzten und Heilpraktikern (sic!)“ vergleichbar sei. Echt jetzt?
Wir kennen die Augenfarbe der RichterInnen des damals erkennenden Senats zwar nicht, vermuten aber, dass es in der Mehrheit blau war. Die Geistheiler waren mit diesem – ganz offensichtlich provozierten – Prozess hochzufrieden und benannten sich gleich danach in „geistige Heiler“ um. Was, genau betrachtet, schon einen Unterschied macht (nämlich den, ob ich den Geist heile oder mit dem Geist heile). Drumherum gibt’s noch andere Skurrilitäten (so entschied das Bundessozialgericht z.B. 2018, dass Geistheiler „Teil des Gesundheitswesens“ seien (hust …) und infolgedessen Beiträge zur gesetzlichen Unfallversicherung zu zahlen hätten).
Darüber könnte man ein eigenes Buch schreiben. Aber das wollten wir eigentlich gar nicht erzählen …
Eine in den USA sehr verbreitete Form des Geistheilens, für die es sogar Schulen und die beliebten Zertifikate gab, war das „Therapeutic Touch“ (TT), also das „Heilende Berühren“. Die Vertreter dieser Richtung behaupteten, sie könnten ein „Human Energy Field“ (HEF), also ein „Menschliches Energiefeld“ spüren, das um einen menschlichen Körper vorhanden sei. Und das könnten sie mit ihren Händen beeinflussen und damit Krankheiten heilen. Berührungsfrei, selbstredend. Wie sie das genau machen, womöglich über HEF-Akupressur oder so, darüber ließen sich diese Leute nicht näher aus.
Geschicktes Marketing und medienwirksame Botschafter sorgten für reichlich Verbreitung und Zulauf, wie sollte es auch anders sein. Mediale Vorreiterin war eine gewisse Dolores Krieger, ihres Zeichens Krankenschwester, die eine ganze Reihe von Berufskolleginnen im Schlepptau hatte, die sich total begeistert vom „TT“ zeigten. Das HEF-Dings fühle sich an wie Wackelpudding (Jelly) und schmeichle den Händen (feels taffy), was immerhin für ein Energiefeld recht erstaunlich scheint.
Ein Video mit dieser Propaganda sah eine junge Dame, die gerade am Wissenschaftswettbewerb ihrer 4. Schulklasse teilnehmen wollte. Der 4. Klasse? Ja, Emily Rosa war damals neun (9) Jahre alt!
Emily fand das Ganze, mit Verlaub, offenbar ziemlich irre. Und sie entwarf ein Studiendesign für eine einfachverblindete Studie, mit der man prüfen konnte, was denn die TT-Heiler wirklich auf dem Kasten hätten.
Und tatsächlich kam es dazu, dass in einer ersten Phase im Kontext ihres Schulwettbewerbs 15 TT-HeilerInnen über einen längeren Zeitraum mehrfach getestet wurden. Im Blindversuch sollten sie feststellen, ob Emily gerade ihre Hand über die ihre hielt oder eben nicht. Und siehe da – mehr als die statistische Wahrscheinlichkeit zeigte sich nicht.
Dies wurde bekannt und weckte Interesse. Stephen Barrett, einer der großen Medizinaufklärer der USA (und INH-Unterstützer) nahm sich der Sache an. Scientific American, die weltweit bekannte Wissenschaftszeitschrift, ermöglichte Emily ein Jahr später (1997) die Wiederholung ihrer Tests mit 13 TherapeutInnen (davon 7 aus dem ersten Test) und dazu an einem Tag. Die Sache wurde auf Video aufgezeichnet, um ein beweiskräftiges Protokoll zu haben. Jede/r Therapeut/in bekam zehn Blindversuche und konnte vorher Emilys Hände untersuchen und selbst festlegen, welche sie – wegen starken HEFs – testen wollten. Und mit welchem Ergebnis? Weder Wackelpudding noch Handschmeicheln wurden über die statistische Wahrscheinlichkeit hinaus erkannt, im Gegenteil (Trefferquote 0,44 von 1).
Das schien einer Veröffentlichung wert. Es wurde eine saubere Arbeit erstellt, für die Barrett als Hauptautor fungierte. Emilys Mutter, wissenschaftlich nicht unbedarft, ebenfalls, Emily selbst als Studiendesignerin und Durchführende, ihr Stiefvater zeichnete für die statistische Auswertung verantwortlich. Es soll aber auch nicht verschwiegen werden, dass beide Eltern schon seit Jahren aktiv gegen Hokuspokus, auch TT, bei der Behandlung von Kindern eintraten. Was Emilys Leistung nicht schmälert.
Gesagt, getan. Und ein weiteres Jahr später, 1998, erschien im Journal of the American Medical Association (JAMA), einem der ganz großen medizinischen Journale, die Veröffentlichung über Emilys Arbeit unter dem Titel A Close Look at Therapeutic Touch [1]. Ergänzt wurde die Arbeit durch eine umfangreiche Literaturrecherche, die das Ergebnis stützte. Und das lautete:
Unseres Wissens wurde keine andere objektive quantitative Studie veröffentlicht, an der mehr als einige wenige TT-Praktizierende beteiligt waren, und keine gut konzipierte Studie weist irgendeinen gesundheitlichen Nutzen von TT nach. Diese Tatsachen, zusammen mit unseren experimentellen Ergebnissen, legen nahe, dass die Behauptungen über TT unbegründet sind und dass eine weitere Anwendung von TT durch Angehörige der Gesundheitsberufe nicht gerechtfertigt ist.
Der JAMA-Herausgeber beendete die Diskussion über das Alter von Emily schon bevor sie begonnen hatte mit den Worten: „Alter spielt keine Rolle. Gute Wissenschaft spielt eine Rolle, und das hier ist gute Wissenschaft“.
Bis heute ist Emily die jüngste Studienautorin, die je in einem wissenschaftlichen Journal publiziert hat. Die mediale Reaktion blieb nicht aus, in der New York Times war sie „das Kind aus der Geschichte von des Kaisers neuen Kleidern“.
Eine klare Widerlegung der Behauptungen der TT-TherapeutInnen. Eine nachfolgende Studie beschäftigte sich eingehend mit Studiendesign und statistischer Auswertung und zog den Schluss, dass positive Ergebnisse sich zwanglos durch das Erspüren von Körperwärme erklären lassen. Bis heute ist Emilys Ergebnis unwiderlegt. Sie schloss ihr Studium an der University of Colorado in Denver 2009 mit dem Schwerpunkt Psychologie ab.
Wie schon eingangs gesagt: Wer nichts weiß, muss alles glauben. Und wer mehr wissen will, braucht vor allen Dingen Neugier, Skepsis und Fantasie!
[1] Rosa L, Rosa E, Sarner L, Barrett S. A Close Look at Therapeutic Touch. JAMA. 1998;279(13):1005–1010. doi:10.1001/jama.279.13.1005
https://jamanetwork.com/journals/jama/fullarticle/187390
Bildnachweis: Udo Endruscheit für Susannchen braucht keine Globuli