Akupunktur – die Story (II)
Was sagt die Wissenschaft?
Im zweiten Teil unserer kleinen Reihe wollen wir uns heute mit der neueren wissenschaftlichen Betrachtung der Akupunktur befassen. Wir erinnern uns an das Zwischenergebnis nach dem ersten Teil: Die Akupunktur steht in dringendem Verdacht, eine Scheintherapie ohne spezifische Wirkung zu sein, was aber keineswegs ausschließt, dass Akupunkturbehandlung sichtbare Effekte zeigt. Diese scheinen auch über die üblichen Begleiteffekte von Scheinverfahren hinauszugehen, weil sie eine spezielle stark suggestive Komponente beinhalten.
Es verwundert wenig, dass sich die wissenschaftlichen Bemühungen auch bei der Akupunktur zunächst auf einen Wirkungsmechanismus konzentrierten – man „sah“ ja eine Wirkung und suchte nun nach einem Beweis. Was ja eigentlich das Aufzäumen des Pferdes von hinten ist. Zuerst sollte man sicher sein, dass es überhaupt etwas zu beweisen gibt. Dazu ist es nötig, sicher eine spezifische Wirksamkeit festzustellen, bevor man sich mit der Frage der Wirkungsweise sinnvoll befassen kann. Auch heute scheint es für so manchen noch ein mühsames Unterfangen zu sein, zu verstehen, dass das, was man sieht (Phänomen) längst nicht mit einer spezifischen Wirkung, also dem was wirklich geschieht, gleichgesetzt werden kann.
Die „physiologische Deutung“: Gate control theory
Aus dem Gebiet der Neuropsychologie stammt die sogenannte Gate control theory, „Torwächtertheorie“, die lange Zeit „hoch gehandelt“ wurde und auch heute noch vielfach Kredit bekommt – zu Unrecht, wie wir sehen werden. Nach dieser Hypothese soll die Nadelung einen Reiz in schnell leitenden Nervenfasern auslösen, der die Schmerzleitung in langsamer leitenden Nervenbahnen sozusagen „überholt“ und – bevor diese im Thalamus (der „Verwaltung“ für ein- und ausgehende Reize im Zwischenhirn) ankommt – die dortigen „Schmerzeintrittspforten“ blockiert. Die Hase-und-Igel-Theorie der Akupunktur sozusagen.
In Bezug auf die Akupunktur war dies erstmal nur eine „Interpretation“, eine Ableitung aus einer komplexeren Grundidee (Gate Theory von Metzack und Wall [1]). Die Annahmen der Akupunktur-Vertreter stellten eine Vereinfachung der ursprünglichen Hypothese dar (reine Regulation auf der Ebene des Thalamus ohne Berücksichtigung der Beteiligung des Rückenmarks). Die Euphorie, Akupunktur „erklärt“ zu haben, war schon deutlich spürbar Anfang der 1970er Jahre, es gab ein hypothetisches Wirkungsmodell von verführerischer Logik (Wancura) [2] – bis einer der Forscher, auf die man sich berief, das Ganze auf den Boden der Tatsachen zurückholte und klarstellte, dass es „nicht einen Zipfel eines anatomischen oder physiologischen Beweises eines solchen Systemes“ gebe (Wall nach Kroger 1973, Sovak und Engel 1976 [3]). Inzwischen gilt auch die Ursprungstheorie von Metzack und Wall als physiologisch und psychologisch nicht mehr up to date. [4] Sie lieferte aber dem Wissenschaftsbetrieb einen starken Impuls für die weitere Schmerzforschung und hatte damit ihren Wert. Nur – für die Akupunktur ist die Gate control theory „durch“, wie man so zu sagen pflegt.
Die Gate control theory, wäre sie bestätigt worden, hätte gleich auf einen Schlag viele Phänomene von Schmerzwahrnehmung und vor allem Nichtwahrnehmung erklären können. Gerade das, ihre „Eleganz“, verschaffte ihr großes Interesse. Nur leider – eine physiologische Basis konnte nie belegt werden (Schmidt und Struppler, 1972 [5]). Aber gerade zur Akupunktur hätte sie ohnehin längst nicht alle Fragen beantwortet. Wieso kann beispielsweise der Effekt anhalten, wenn der Nadelreiz beendet, also sozusagen der Stecker gezogen wird? Trotzdem geistert sie immer noch in den Erklärungsversuchen zur Akupunktur herum.
Die „biochemischen Deutungen“
Eine ganze Gruppe von Erklärungsansätzen beruht auf der Annahme einer Freisetzung von Wirksubstanzen im Körper durch die Nadelung der Akupunkturpunkte.
Die wohl bekannteste Hypothese dabei ist die, dass durch die Nadelung Endorphine, also körpereigene Opiate, ausgeschüttet werden. Nun schüttet der Körper bei vielen Arten von Stress Endorphine aus. Und immerhin ist erstaunlich, dass diese Endorphin-Ausschüttung ganz spezifisch auf ein bestimmtes Organ oder einen lokalen Schmerzrezeptor wirken soll, zudem auch noch ausgelöst durch den Reiz an einem ganz bestimmten Hautpunkt, für den es keinen Nachweis eines physiologischen Zusammenhanges mit dem erkrankten Körperteil oder Organ gibt. Das erscheint recht seltsam. Es kommt hinzu, dass die Tests, die einen Anstieg des Endorphinspiegels im Blut nach Akupunktur nachweisen sollten, methodisch höchst zweifelhaft waren und keineswegs ausreichend nachvollziehbare Belege lieferten (Skrabanek [6]). Und wieso soll der Effekt der Endorphinausschüttung andauern, wo doch die Akupunktursitzung in aller Regel nach etwa 20 Minuten beendet ist?
Immerhin ist Endorphin wirklich eine biochemische Substanz, die einen schmerzhemmenden Effekt haben kann. Es gibt daneben vergleichbare Hypothesen zur Produktion von Serotonin und zu Histamin durch die Nadelungsreize. Die grundsätzlichen Einwände zur Endorphin-Hypothese gelten auch hier. Weiter wäre zu bedenken, dass diese beiden Substanzen nicht ohne weiteres überhaupt mit einer Schmerzhemmung assoziiert werden können. Serotonin ist ein Botenstoff (Neutrotransmitter), der von verletzten Nervenzellen freigesetzt wird und unmittelbarer Auslöser eines Schmerzreizes ist, kann aber über einen erweiterten Mechanismus auch regulierend auf Schmerzempfindung wirken, allerdings sowohl verstärkend als auch abschwächend. Allein der komplexe Wirkmechanismus von Serotonin lässt eine reproduzierbar schmerzdämpfende Wirkung durch die Nadelung von Hautpunkten nicht erwarten – dies wurde auch niemals belegt.
Erklärungen für Akupunktureffekte daraus abzuleiten, dass sich ja der Bereich um die Einstichstelle in aller Regel röte, was ein Zeichen für Histaminfreisetzung sei, scheint noch weiter hergeholt. Histamin steht in keinem vordergründigen Zusammenhang mit Schmerzreizen; es ist vor allem für die Regulierung von Entzündungsprozessen von Bedeutung (Rötung und Gewebsschwellung). Histamin ist „überall“ in den Körperzellen gebunden vorhanden und setzt sich schnell frei, schon deshalb kann einer „Histaminisierung“ beim Akupunktureinstich keine spezielle Bedeutung zugeschrieben werden.
Aber was hat das überhaupt alles mit den Lehrsätzen der Akupunktur zu tun?
Was das eigentliche Hauptkriterium des Lehrgebäudes „Akupunktur“ ist, mit dem ohnehin alles steht und fällt, gerät bei diesen Deutungsversuchen allzu gern in den Hintergrund: Nur einmal angenommen, man würde diesen schönen Hypothesen folgen können und wollen: Was bleibt, ist die völlig ungeklärte Frage nach der Spezifität der Akupunkturpunkte, ja die Frage nach den Punkten überhaupt, die erst bei richtigen „Treffern“ die Wirksamkeit erzeugen sollen. Im ersten Teil unseres Beitrages haben wir gesehen, dass von einer verbindlichen Lehre zu den Meridianen und den Punkten nicht einmal im Ansatz die Rede sein kann. Ganz zu schweigen davon, dass es auch etliche unterschiedliche „Lehrmeinungen“ zu Einstichtiefe, Winkel, Art der verwendeten Nadel gibt. Viele, teils sehr aufwendige physiologische Untersuchungen [7] haben in der Tat keine Besonderheiten ergeben, aus denen man auf eine spezielle Empfindlichkeit, Reizbarkeit, eine „Schalterfunktion“ oder sonst irgendetwas an, auf oder unter irgendwelchen Hautstellen hätte schließen können. Und das ist ein sehr, sehr starkes Argument gegen die Akupunktur als medizinische Intervention. Die Ansichten der Akupunkteure gehen erwartungsgemäß maximal auseinander, sie bewegen sich zwischen völliger Unwichtigkeit der Punkte (ja, das gibt es auch…) und Anforderungen an allerhöchste Präzision, gar mit elektronischen Detektorsystemen, bei denen man doch offenbar gar nicht weiß, was sie eigentlich detektieren sollen – die alten Chinesen wären vermutlich sehr erheitert über die modernen Langnasen gewesen.
Das beschäftigt durchaus auch Akupunktur-Forscher, die sich ihre Selbstkritik bewahrt haben. Solche haben vor nicht langer Zeit ein systematisches Review dazu veröffentlicht, ob diese Meridiane und Punkte, mit denen die Akupunktur als Methode steht und fällt, vorhanden sind. Durchgeführt von Akupunkteuren, erschienen im für die Szene bedeutenden Journal of Acupuncture and Meridian Studies: „A critical systematic review of accuracy and precision in acupuncture point location“ (Ein kritisches systematisches Review zu Sorgfalt und Präzision bei der Lokalisierung von Akupunkturpunkten“).
Und? Was man fand, waren völlig unvereinbare, verschiedenste Systeme und Nomenklaturen zur Durchführung der Akupunktur. 14 größere Arbeiten wurden einbezogen – man fand aber nur das Chaos wie bei der Erschaffung der Welt und den Geist des Konfuzius darüber schwebend…
Das nennt man fehlende innere Konsistenz, wenn die konstituierenden Grundannahmen einer Methode einfach nicht belegt werden können. Ein wissenschaftliches Todesurteil. Wie bei der Homöopathie.
Was sagt die sonstige wissenschaftliche Studienlage?
Und die Studienlage zur spezifischen Wirkung? Es verwundert nicht, dass von Anfang an kein Nachweis einer spezifischen, also über die Kontexteffekte -einschließlich der Suggestion- hinausgehende Wirkung gelang. Ein physiologisch nachweisbarer ursächlicher Effekt konnte dem Akupunktursystem nicht attestiert werden. Wen wundert es, allein wegen der maximalen Verwirrung und Uneinheitlichkeit der Grundlagen? Dabei muss man im Auge behalten, dass die „Spezifität der Akupunkturpunkte“ der zentrale Punkt der Lehre ist, mit dem alles andere steht und fällt – so wie bei der Homöopathie das Simileprinzip und die Steigerung der Arzneimittelwirkung durch „Potenzierung“. Wir können jedenfalls schon einmal im Hinterkopf behalten, dass kein Test jemals eine solche Spezifität von Akupunkturpunkten belegen konnte, weshalb auch Scheinakupunktur an anderen Stellen, sogenannte Sham-Akupunktur, in den allermeisten Fällendie gleiche Wirkung zeigt wie die „fachlich korrekte“ Nadelung.
GERAC
Wir wollen uns auf die bekannteste, man mag fast sagen populärste Studie zur Akupunktur beschränken und dann auch noch die Lage „danach“ betrachten. Diese bekannteste und eine der größten Studien zur Akupunktur überhaupt war GERAC (German Acupuncture Trial), in den Jahren 2002 bis 2007 in Zusammenarbeit mit den Krankenkassen durchgeführt. GERAC sollte eine verlässliche Grundlage dafür liefern, bei welchen Indikationen (Krankheits- bzw. Beschwerdebildern) die Wirksamkeit von Akupunktur mit solcher Sicherheit angenommen werden konnte, dass sich eine Übernahme der Kosten durch die Krankenkassen rechtfertigt.
GERAC wird von vielen Akupunkturbefürwortern als so etwas wie der ultimative Durchbruch, als Beleg oder Beweis für die Akupunktur angesehen und „verkauft“. Das ist auch so in etwa das, was von GERAC in der breiteren Öffentlichkeit angekommen ist. Aber so kann und darf man GERAC nicht sehen. GERAC steht nicht im Widerspruch zu früheren Studien, die keine spezifische Wirkung der Akupunktur als Methode feststellen konnten. „Positiv“ war das Ergebnis von GERAC nur in einem kleinen Ausschnitt des Spektrums, für das eine (teilweise) Überlegenheit gegenüber Standardtherapien festgestellt werden konnte, und zwar bezeichnenderweise im Bereich von Schmerzzuständen verschiedener Ursache.
An dieser Stelle wäre es angezeigt, dass wir uns an den ersten Teil dieses Beitrages erinnern, der ja schon die historische Rolle der Akupunktur speziell bei der Analgesie, der Schmerzbehandlung, zum Gegenstand hatte.
GERAC und der G-BA
Gleich zu Anfang des ersten Teils war schon zu erfahren, dass der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) 2006 eine Zulassung der Akupunktur als Kassenleistung für einige Indikationen -nicht für „die Akupunktur“!- aufgrund der Ergebnisse von GERAC ausgesprochen hat. Diese Indikationen waren chronische Rücken- und Knieschmerzen. Entgegen weit verbreiteter Ansicht gehörten Kopfschmerz und Migräne nicht dazu, da hierbei weder „echte“ noch Scheinakupunktur eine Überlegenheit über die Standardtherapie nachweisen konnten. Schauen wir, was der G-BA selbst damals gesagt hat:
„Obwohl insgesamt kein eindeutiger Nachweis der Überlegenheit der „echten“ Akupunktur vorliegt, haben wir im Interesse der Patienten und mit Blick auf die Versorgungssituation in der Schmerztherapie eine positive Entscheidung getroffen. Die Studienergebnisse zeigen, dass sowohl die „echte“ als auch die Schein-Akupunktur bei der Behandlung von Rücken- und Knieschmerzen besser hilft als die angebotene Standardtherapie. Deshalb hat der G-BA entschieden, dass Patienten die Akupunkturbehandlung als Kassenleistung erhalten sollen.“
Auf drei Dinge will der G-BA damit hinweisen:
- Die Akupunktur als solche sieht er nach wie vor nicht als spezifisch wirksame medizinische Methode an.
- Er wollte sich deshalb dem GERAC-Teilergebnis im Sinne der Patienten nicht verschließen, weil psychosomatische Beschwerden damit (derzeit noch) besser gelindert werden können als mit Standardtherapien, all das unter dem Vorbehalt künftiger Verbesserung in der schmerztherapeutischen Versorgung.
- Er weist ausdrücklich darauf hin, dass GERAC keinen signifikanten Unterschied zwischen „fachgerechter“ Akupunktur an Punkten (nach welchem System auch immer) und Scheinnadelung an anderen Punkten gezeigt hat, was ein deutlicher Beleg für eine unspezifische, aus Begleiteffekten herrührende Wirkung ist.
So können wir festhalten, dass GERAC exakt das Ergebnis erbracht hat, das früher auch schon bekannt war und im Rahmen der einen Placeboeffekt übersteigenden Suggestionseffekte im ersten Teil unserer Betrachtung beschrieben wurde. Es würde unserer Ansicht nach naheliegen, im Abstand von dreizehn Jahren zu dieser Entscheidung eine erneute Gewichtung gegenüber den neueren Standards der Behandlung muskulo-skelettarer Beschwerden unterschiedlicher Ursache vorzunehmen. Genau dies hat der britische NHS 2018 getan – in seinen international angesehenen NICE-Guidelines hat er die Akupunktur auch für diese Beschwerdebilder wegen mangelnder Evidenz gestrichen.
GERAC und die Akupunktur-Lobby
Wie das immer so ist, wird dieses Ergebnis von den Vertretern der Pseudomedizin bis zum Geht-nicht-mehr verzerrt und gedehnt. Statt dem G-BA in seiner Beurteilung zu folgen und GERAC objektiv zu betrachten, können wir beim Therapieangebot von Akupunkturärzten (!) heute die unglaublichsten Indikationen finden, bei denen die Methode wirksam sein soll (die nachfolgende Aufzählung ist ein Auszug von den auf der Webseite der Deutschen Ärztegesellschaft für Akupunktur genannten Indikationen):
Schlaganfall, Lähmungen, zerebrale Anfallsleiden, Depressionen, bipolare Störungen, Suchterkrankungen, Bulimie, Adipositas, Asthma, funktionelle Herzerkrankungen, Herzrhythmusstörungen, Angina Pectoris, koronale Herzerkrankungen, Übelkeit und Erbrechen auch bei Schwangerschaft, Magengeschwüre, Gallenblasenentzündung, Hepatitis, Harnwegsinfekte, Prostataentzündung, Fertilitätsstörungen, Geburtseinleitung, Schwerhörigkeit, Bindehautentzündung, Sehschwäche, grüner Star, Netzhautentzündung, Neurodermitis, entzündliche Hauterkrankungen, Förderung der Wundheilung, Kollaps, Schock, Zähneknirschen…
Wohlgemerkt – das sind ärztliche Angebote. Einen ärztlichen Fachverband schert es offenbar nicht im Mindesten, wie der G-BA die Evidenzlage beurteilt. Ehrlich gesagt, fehlen uns hier die Worte. Bei den Indikationen handelt es sich ja nun nicht gerade um Kleinigkeiten. Was der eine oder andere Heilpraktiker da noch aufsatteln mag, dem sind wir nicht näher nachgegangen…
Der G-BA wird sich selbst früher oder später die Frage stellen müssen, ob seine damalige Entscheidung Bestand haben kann, sei es aufgrund verbesserter schmerztherapeutischer Versorgung der Bevölkerung, sei es durch weitere Studienergebnisse.
Nach GERAC
Und was diese weiteren Studienergebnisse nach GERAC angeht, so teilen diese sich ganz ähnlich wie bei der Homöopathie in manchmal geradezu haarsträubend schlecht gemachte oder ausgewertete Arbeiten und solche, denen aufgrund der Studienqualität ein gewisser Aussagewert zukommt und die für systematische Reviews geeignet sind. Es erscheint jährlich eine wahre Flut von Akupunkturstudien, die meisten davon aus China. Das ist unter mehreren Gesichtspunkten problematisch. Es ist bekannt, dass China die TCM, insbesondere die Akupunktur, ganz real als „Exportartikel“ ansieht, der nichtasiatischen Ländern „schmackhaft gemacht“ werden soll, was sich bereits mit der Aufnahme der TCM in das internationale Diagnostik-Manual ICD (Version 11 ab 2022) in einem kompletten eigenständigen Abschnitt massiv ausgewirkt hat. Erkennt man dann noch, dass die aus China stammenden Akupunktur-Anwendungsstudien fast ausnahmslos positiv ausfallen (das Problem der Methodik sei dabei hintangestellt), wird man geneigt sein, diesen vielen Arbeiten eine gesunde Skepsis entgegenzubringen.
Eine Gesamtschau des Standes der wissenschaftlichen Beurteilung zur Akupunktur liefert ein Beitrag in der angesehenen Publikation „Anaesthaesia and Analgetica. Bezeichnend -und angesichts unserer Erkenntnisse treffend- ist der Titel: „Akupunktur ist theatralisches Placebo“. [8] Steven Novella [9] und David Colquhoun [10] kommen darin zu dem Ergebnis, dass die Debatte zu einer spezifischen Wirkung als beendet anzusehen sei und es keinen Anlass gebe, weitere Forschung zu Akupunktur zu betreiben – und sie begründen das auch eingehend, vor allem mit der auch in diesem Beitrag hervorgehobenen „Unspezifität“ der Methode. Sie weisen z.B. darauf hin, dass man wohl kaum einem neuen Schmerzmedikament allzusehr vertrauen würde, das bei Muskelschmerzen in den Beinen wohl hilft, in den Armen jedoch nicht, und beim nächsten Patienten vielleicht umgekehrt. Ungefähr das ist die Lage zu den meisten untersuchten Indikationen. Die beiden Forscher fassen ihr Fazit wie folgt zusammen:
„Die am besten kontrollierten Studien zeigen ein klares Muster: Bei der Akupunktur hängt das Ergebnis nicht von der Nadelposition oder gar dem Einsetzen der Nadel ab. Da diese Variablen diejenigen sind, die die Akupunktur (als eigenständige Methode, Anm. Susannchen-Team) definieren, ist die einzig sinnvolle Schlussfolgerung, dass Akupunktur nicht funktioniert. […] Die zurückhaltendste Schlussfolgerung ist, dass es bei der Akupunktur kein Signal, sondern nur Rauschen gibt.
Die Interessen der Medizin wären am besten gewahrt, wenn wir dem chinesischen Kaiser Dao Guang nacheifern und ein Edikt erlassen würden, das besagt, dass Akupunktur und Moxibustion (Erhitzen der Akupunkturpunkte, Anm. Susannchen-Team) nicht mehr in der klinischen Praxis angewendet werden sollten.
Zweifellos wird es die Akupunktur auch weiterhin auf dem „Markt der Medizin“ geben, wo sie als freiwillige, selbst auferlegte Last für die Leichtgläubigen toleriert werden kann (sofern sie keine ungerechtfertigten Ansprüche erheben).“
Fazit
Eine spezifische Wirkung der Akupunktur als medizinische Methode ist nach wie vor unbelegt, die Indizien sprechen klar dagegen. Ihre traditionell „überlieferten“ Grundannahmen haben keinerlei Evidenz für sich. Herausragend ist dabei, dass das Vorhandensein spezifischer Akupunkturpunkte (der „Kern“ der Methode) unhaltbar ist, u.a. weil immer wieder festgestellt wurde, dass es bei einer Wirkung auf die Nadelungsstellen gar nicht ankommt – ein Befund, dessen die Akupunktur angesichts ihrer unzähligen „Schulen“ zur Lage von Meridianen und Nadelungspunkten seit jeher verdächtig war. Die Erklärungsversuche auf biochemischer Basis sind alle im Bereich von Spekulation steckengeblieben, die gate control theory als bislang komplexester Deutungsversuch gilt inzwischen als nicht mehr haltbar.
Was bleibt für Sie als Patientin / Patient?
Es bleibt eine unbestrittene Wirkung der Akupunktur durch suggestiv-hypnotische, psychosomatische Effekte, die die stets auftretenden Begleiteffekte (u.a. Placebo) in besonderer Weise erweitern. Insofern hat die wissenschaftliche Untersuchung des Phänomens im 20. und 21. Jahrhundert das Urteil der nüchternen Beobachter aus dem 18. und 19. Jahrhundert bestätigt. Wir können sogar auf diesem Weg noch einen kleinen Schritt weitergehen. Seit den Forschungen von Kuhnke (1974) [11] kann als gesichert gelten, dass Schmerzen zwei Agentien, also zwei Wirkungsformen haben: Als objektive Reizung von Nerven und Schmerzzentrum und ebenso als Affekt, als Bedeutungswahrnehmung. Wobei die letztere ein starkes Regulativ für die erstere darstellen kann, was auch der Kernpunkt psychotherapeutischer Schmerztherapien ist (Affektabwehr). Womit wir doch genau bei der suggestiven Komponente des Akupunktur-Settings angekommen sind.
Möchten Sie, liebe Leserin, lieber Leser, sich bei Schmerzzuständen, für die die Krankenkasse Akupunktur bezahlt, für eine solche Behandlung entscheiden, so ist dagegen nichts einzuwenden. Sie dürfen sich selbst und den suggestiven Kräften der Methode vertrauen, wenn Sie das möchten. Wir wünschen Ihnen dabei Erfolg! Aber Sie sollten darüber Bescheid wissen, dass Ihnen auch im besten Falle nicht die Akupunktur als solche hilft, sondern als psychosomatische Therapie. Ihre Erwartungen sollten Sie an dieser Tatsache ausrichten.
Es ist uns zum Schluss noch wichtig, deutlich zu machen, warum wir -im Vergleich zur Homöopathie- hier so ein „Zugeständnis“ an eine Scheintherapie machen. Nun, wir rechnen die Akupunktur als solche eindeutig der Pseudomedizin zu und auch der G-BA macht keinen Hehl daraus, dass er nur aus pragmatischen Gründen die Akupunktur für einige Bereiche zulässt. Die Homöopathen dagegen bestreiten die psychosomatische Wirkung, den (einzigen) Sinn ihrer Methode, als „Psychotherapie light“ vehement und erheben den falschen, die Patienten irreführenden Anspruch, nicht mit Begleiteffekten, sondern mit einer spezifisch wirksamen Arzneimitteltherapie zu behandeln. Und das ist inakzeptabel, dabei gibt es auch keinen Raum für Pragmatismus. Zumal es bei der Homöopathie keinerlei Resultate, gibt, die den Ergebnissen von GERAC bei Knie-, Kopf- und Rückenschmerzen vergleichbar wären. Es gilt: Was nachweislich besser helfen kann als der bestehende Standard, wird nicht verworfen – jedenfalls so lange nicht, bis weitere Fortschritte erreicht sind.
Der G-BA hat sich nach dem medizinischen Ethos gerichtet, das sich im Zweifel am Patienten orientiert und schon von Hufeland (1762 – 1836) so in Worte gefasst worden ist:
„Mir ist jeder neue Weg, der kranken Natur beizukommen, willkommen, und ich glaube frei genug von vorgefassten Meinungen zu sein, um ihn gehörig würdigen zu können.“
Das ist kein Freibrief für Pseudomedizin, die jeglichen Wirkungsnachweis über Placebo oder Standardtherapie hinaus schuldig bleibt – im Gegenteil.
Übrigens – wir werden noch einen dritten Teil zu einigen besonderen Gesichtspunkten des Themas Akupunktur erscheinen lassen. Und hoffen natürlich dazu auf Ihr Interesse!
Wir wünschen Ihnen Gesundheit!
TL; DR
- Akupunktur ist eine pseudomedizinische Methode, die eine spezifische Wirkung nicht nachweisen kann. Sie beruht auf keiner einheitlichen geschlossenen Lehrmeinung, sondern ist nach über 2000 Jahren in Deutung und Methoden heillos zersplittert. Das hat sich nach der Verbreitung im Westen noch verstärkt.
- Akupunktur zeichnet sich gegenüber anderen Scheinmethoden durch eine besondere suggestiv-hypnotische Komponente aus, die bei psychosomatischen Beschwerden deutlich über die üblichen Begleiteffekte jeglicher Behandlung (Placebo, Konditionierung u.a.) hinausgehen kann. Dies entspricht den „historischen Erfahrungen“ mit der Methode.
- Diese Komponente hat sich bei einzelnen Krankheitsbildern der Schmerztherapie gegenüber konventionellen Methoden als überlegen gezeigt und wurde deshalb vom Gemeinsamen Bundesausschuss -jedenfalls bis zu Verbesserungen in der evidenzbasierten Schmerzmedizin- im Patienteninteresse anerkannt. Nicht anerkannt wurde dabei die Akupunktur als Methode.
Aktualisiert und ergänzt um neue Entwicklungen / Forschungsergebnisse am 22.10.2020.
[1] https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC4676495/
[2] Wancura, I, Das Schmerzphaenomen und die Akupunktur, Österr. Ärzteztg 28, 996 (1973)
[3] Kroger, V., Akupunktur-„Anästhesie“ eine Form der Hypnose, Medical Tribune 8, 3 (1973) sowie Sovak, M. u. Engel, R., Über den Mechanismus der Akupunktur-Analgesie, Aenesthesist 25, 208 (1976)
[4] http://www.spektrum.de/lexikon/psychologie/gate-control-theorie/5513
[5] Schmidt, R. und Struppler, A.: Der Schmerz Ursachen – Diagnose – Therapie, Piper München (1982)
[6] Skrabanek, P., Acupuncture and the age of unreason, Lancet, 26,1169 (1984)
[7] Kellner, G., Bau und Funktion der Haut, Dt Zschr Akupkt. 15, 1 (1966), Haug Heidelberg (genaue Untersuchung von über 11.000 Hautpräparaten)
[8] http://journals.lww.com/anesthesia-analgesia/Fulltext/2013/06000/Acupuncture_Is_Theatrical_Placebo.25.aspxP
[9] https://en.wikipedia.org/wiki/Steven_Novella
[10] https://en.wikipedia.org/wiki/David_Colquhoun
[11] Kuhnke, E., Der Schmerz als Reflex, Empfindung und Affekt, Physiotherapie 65, 4 (1974)
Bildnachweise:
Fotolia 109782460_S (1) und 97061264_XS (1, 2)
Medizinhistorisches Institut der Humboldt-Universität Berlin (3)
Wikimedia commons (4)
6 thoughts on “Akupunktur – die Story (II)”
Comments are closed.