Von wegen Natur und gesund – die „Bienenlufttherapie“
Unter einer „Assoziation“ könnt ihr euch alle etwas vorstellen – das ist etwas, das man aufgrund vorgeprägter Vorstellungen aus den hinteren Teilen des Gedächtnisses automatisch hervorholt, wenn ein Stichwort fällt oder ein anderer Auslöser auftaucht. Eine großartige Leistung des menschlichen Gehirns! Ohne Assoziationen wären Gedächtnisleistungen und Verknüpfungen zum „Weiterdenken“ gar nicht möglich. Denken wir nur an Einsteins ständige Redewendung „Weiteres Nachdenken ergab…“.
Aber wie so vieles bei den evolutionär angelegten Fähigkeiten des Menschen kann auch hier einiges schiefgehen. Eine der häufigsten Assoziationen, die wir schon oft behandelt haben, ist die Gleichsetzung von „Natur“ mit „sanft und gut“. Immer. Jederzeit. Überall…
Hier wird nicht nur bloß ein Gedankengang verkürzt. Diese kaum reflektierte „Weisheit“ wird auch, und leider gerade im Gesundheitsbereich, oft sozusagen „kommerziell genutzt“ und dabei regelrecht ausgeschlachtet. Das geht so weit, dass das glatte Gegenteil von „sanft und gut“ unter der Flagge der „Natur“ und des „Natürlichen“ angeboten wird – gegen gutes Geld, versteht sich.
Ein Beispiel wollen wir hier näher beleuchten. Gar nicht neu, es kommt aber immer wieder irgendwie „nach oben“ und illustriert die Sache recht drastisch.
Wir meinen die „Bienenlufttherapie“. Mittels des zugkräftigen Vehikels der „Natur“-Assoziation wird es als „Heilmethode“ angepriesen, per Maske auf Körpertemperatur angewärmte Luft aus Bienenstöcken einzuatmen. Richtig schön tief natürlich. In der Regel (aber wohl nicht ausschließlich) von Heilpraktikern angeleitet, versteht sich.
Es mögen dabei selbst dem naturgeneigtesten unter unseren Lesern gewisse Zweifel kommen – aber solche Angebote werden tatsächlich genutzt. Und teils mit großer Vehemenz propagiert. Soll gegen Asthma und Bronchitis helfen, nach Ansicht mancher „Fachleute“ gar gegen Migräne (!). Wissenschaftliche Evidenz? Null komma null selbstverständlich. Es existieren schlicht keine Untersuchungen, so einige eher dubiose Veröffentlichungen dazu sind irgendwie auf wundersame Weise wieder aus dem Netz verschwunden. „Ätherische Öle“ und „sekundäre Pflanzenstoffe“ im Bienendunst sollen angeblich gegen „entzündliche Erkrankungen der Atemwege“ gut sein. Wir erlauben uns, das jedenfalls in dieser Pauschalität zu bezweifeln – was bitte sind das für „ätherische Öle“ und „sekundäre Pflanzenstoffe“? Wir wissen es nicht – und die Heilpraktiker verraten es nicht… (na, sie wissen es wohl auch nicht). Was aber unmittelbar einleuchtet, das sollte doch sein, dass solche Luft zumindest niemals pollenfrei sein kann und bei einer regelrechten Inhalation Allergenkontakte zustande kommen, gegenüber denen die bei einem einfachen Atemzug nur das buchstäbliche laue Lüftchen darstellen.
Kommt aber noch dicker.
„Vor dem Hintergrund der Risiken einer allergischen Komplikation auch bei bisher Gesunden“ halte man die Behandlungen für nicht verantwortbar, teilt eine Landesärztekammer unmissverständlich mit. Und eine Gesundheitsbehörde fügt hinzu, dass das Risiko erheblicher Komplikationen bei auch bisher gesunden Menschen nicht nur eine Untersagung solcher Methoden erfordere, sondern auch die Heilpraktikerschaft die falsche Adresse dafür sei, diese eventuellen Komplikationen unter der Behandlung fachgerecht zu behandeln. Worauf gegenüber einer Heilpraktikern ein Verbot dieser „Therapie“ ausgesprochen wurde. Was – nebenbei angemerkt – als behördliches Tätigwerden im Heilpraktikerbereich leider eine absolute Ausnahme darstellt. Was aber auch wieder keine große Rolle spielt, weil das Verwaltungsgericht das Verbot Ende 2016 wieder aufhob. Was wiederum einmal mehr ein bezeichnendes Licht darauf wirft, was uns die Duldung einer „Parallelmedizin“ namens Heilpraktikerwesen durch den Gesetzesgeber so einbrockt…
All dies verdeutlicht viererlei:
- Assoziationen können kognitive Fehlleistungen sein, eine der vielen, denen wir Menschen – wir alle – Tag für Tag ständig erliegen.
- Vorsicht ist geboten, wenn Anbieter von Produkten und / oder Dienstleistungen versuchen, ihre Produkte über Assoziationen an den Mann und an die Frau zu bringen. Das gilt ganz besonders im Gesundheitsbereich (hier lässt sich zwanglos die Brücke zur Homöopathiewerbung schlagen).
- „Kann ja nicht schaden“, weil „natürlich“, ist genau das, was so ein Appell an die Assoziation „Natur“ erreichen will.
- In Fragen der Gesundheit führt kein Weg an der grundlegenden Frage „Wo ist der Beweis?“ vorbei.
Nun ja. Und was meint ihr wohl, hat der „Berufs- und Fachverband freier Heilpraktiker“ (einer von etlichen Verbänden der Branche) dazu gesagt? Dass ein Verbot ein „unerträglicher Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit“ sei und es sich doch schließlich um ein „althergebrachtes Verfahren“ handele.
Wir meinen:
So etwas ist eher ein unerträglicher und nicht zu rechtfertigender Eingriff in die körperliche Unversehrtheit hilfesuchender Menschen, jedenfalls ein unvertretbares Risiko.
Und althergebracht sind auch Aderlass, Haarseil (künstlich offengehaltene Wunden, um die Krankheit abfließen zu lassen), Quecksilber als Medizin und vieles andere, sogar die noch gar nicht so alte Kniegelenksspülung ist in dem Sinne „alt“, dass sie keine Regeltherapie mehr ist. Mit wo etwas könnten wir einen ganzen Blog füllen könnten. Bringt aber nichts, denn: alt ist bekanntlich erstmal nur eines: alt… und taugt deshalb nicht als Qualitätsbeweis.
Eines sei noch angemerkt: Manche Imker bieten offenbar auch selbständig „Bienenlufttherapie“ an – in Anbetracht der behördlichen Einstufung als „Gesundheitsrisiko“ etwas riskant, zusätzlich dadurch, dass es sich um eine verbotene „Ausübung der Heilkunde“ (Verstoß gegen das Heilpraktikergesetz) handeln könnte. Man kann nur staunen …
Fazit: Es gibt wichtige Dinge, bei denen der gute Rat „Gehirn einschalten“ allein nicht ausreicht – da bedarf es schon des Schaltens in den zweiten Gang, will man nicht Scheinassoziationen auf den Leim gehen, insbesondere solchen, mit denen einem das Geld aus der Tasche gezogen und womöglich auch noch auf andere Weise Schaden zugefügt wird.
Und wenn ihr mal Google bemüht zum Stichwort „Bienenluft“, dann macht euch darauf gefasst, dass sich nicht wenige Angebote zu diesem gefährlichen Unsinn zeigen – in Deutschland, der Schweiz und Österreich… In Deutschland aufgrund der „Therapiefreiheit“ von Heilpraktikern, in der Schweiz aufgrund des Agierens von „Naturheilpraktikern“ bzw. „Komplementärtherapeuten“ und in Österreich – nun, Heilpraktiker sind dort verboten. Dass dies aber von Scharlatanen aller Couleur in der Praxis mehr und mehr unterlaufen wird, das summen sich die Bienen dort längst am Blütentreff gegenseitig zu.
Bleibt gesund – und gesund kritisch, liebe Leserinnen und Leser!
Zum Weiterlesen bei Psiram: Bienenluft-Therapie